Traumatische Erfahrungen überwinden durch Erfahrungsvertrauen

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Schon die Erlebnisse während der ersten eineinhalb Lebensjahre eines Kindes weisen den Weg in eine von Vertrauen oder Misstrauen geprägte Seele des späteren Erwachsenen. Die Grundlagen für ein stabiles Urvertrauen werden nun gelegt. Aber auch wenn das Urvertrauen durch Traumata gestört wurde, ist es möglich, es zu reanimieren: Durch Erfahrungsvertrauen.

Werden die grundlegenden Bedürfnisse des kleinen Menschen, etwa nach Nahrung oder liebevoller Zuwendung, befriedigt, so entsteht eine Beziehung zu den jeweiligen Bezugspersonen, aus der sich wiederum das Gefühl der Verlässlichkeit entwickelt. So entsteht Urvertrauen.

In den Jahren danach festigt sich diese positive Zwischenmenschlichkeit im besten Falle, sodass für das Kind der Grundstein gelegt ist, gegenwärtig und zukünftig sich selbst und auch anderen, fremden Personen offen und vertrauensvoll zu begegnen. Bildet sich diese frühe Basis nicht heraus, quälen den erwachsenen Menschen Gefühle der Unsicherheit und Ängstlichkeit und es wird ihm wesentlich schwerer fallen, Vertrauen aufzubauen. Es ist dann oft ein längerer Prozess, der vieler positiver Erfahrungen bedarf, um das frühe Misstrauen in der Seele durch Erfahrungsvertrauen zu überschreiben.

Der biologische Hintergrund

Für das Entstehen von Vertrauen und Einfühlungsvermögen sind – biologisch betrachtet – die Spiegelzellen im Gehirn verantwortlich. Bei der Geburt als „Grundausstattung“ vorhanden, erfolgt die Aktivierung dieser Spiegelzellen nur, wenn sich eine Bindung an eine Bezugsperson entwickelt. Das als Vertrauenshormon bezeichnete Oxytocin wird ausgeschüttet. Ohne eine entsprechende Beziehung gehen die „vertrauensvollen“ Nervenzellen zunehmend verloren.

Menschen, die ein Urvertrauen ausbilden konnten, verarbeiten Vertrauensbrüche anders als diejenigen, denen die Möglichkeit dazu nicht geschenkt wurde. Während bei Letzteren sehr viele Stresshormone ausgeschüttet werden, verfügen Personen mit einem ausgeprägten Urvertrauen dank der Basis von Hirnverbindungen über einen Selbstschutzmechanismus; dieser bewertet Belastungen anders und lässt den jeweiligen Menschen relativ rasch wieder in seine Ausgangsposition zurückfinden.

Indem er situationsbezogen denkt, die Umstände analysiert und daraufhin Verhaltensänderungen vornimmt, macht er Lernerfahrungen, die helfen, derartige Erlebnisse künftig zu vermeiden. Seine vorhandene Vertrauensbasis entwickelt durch diese Lernprozesse auch aus schlechten Erfahrungen neues Vertrauen. Umgekehrt verstärkt jede negative Erfahrung das seit jeher gegebene Misstrauen eines Menschen zusätzlich.

Raus aus dem Stress und dem Teufelskreis, vom Urmisstrauen zu Erfahrungsvertrauen

Aber wie kann ein Mensch mit frühkindlich negativen Erlebnissen Vertrauen erlernen? Geht das überhaupt? Ja, ich gehe davon aus, dass dies möglich ist und viele meiner Klienten haben mir das bestätigt.

Das funktioniert durch eine Art „Überschreiben“ von negativen Erlebnissen.

Wenn die betroffene Person später immer wieder viele positive Erfahrungen macht. Deren Einfluss lässt sich hirnphysiologisch messen; es bilden sich neue Nervenzentren, die wiederum das Verhalten und die Vertrauensfähigkeit verändern.

Inwieweit der ursprüngliche Mangel tatsächlich ausgeglichen werden kann, hängt allerdings auch von der Stärke der Traumatisierung ab. Je länger und intensiver diese andauerte, um-so schwieriger ist die Überschreibung. Als fiktives Beispiel sei etwa ein Säugling genannt, der über Monate hinweg Tage und Nächte vergeblich um Zuwendung schrie. In einem solchen Fall prägen sich Angstmuster und Resignation auf lange Zeit tief ins Unterbewusst-sein ein. Im Gehirn zeigt sich eine Art Blockade für die Bildung neuer Vernetzungen, aus-gelöst durch das Stresshormon Cortisol.

Doch auch Menschen, die ein Urvertrauen entwickeln konnten, kommen gegen sehr stark belastende Erlebnisse im Jugend- oder Erwachsenenalter nicht an. Traumatisierende Extremsituationen, die vom Gehirn als existenziell bedrohlich bewertet werden, erschüttern das Vertrauen und hinterlassen Spuren: Die Amygdala, auch als Mandelkern bezeichnet, aktiviert das Alarmsystem des Körpers, woraufhin Stresshormone ausgeschüttet werden. Panikgefühle suchen die Person heim, Schlaflosigkeit und Alpträume sind akute Symptome.

Viele hochsensible Menschen haben in ihrer Kindheit traumatische Erfahrung gemacht. Sie sind häufig in dem Bewusstsein aufgewachsen, anders und unverstanden zu sein und nirgendwo dazu zu gehören.

Da eines der wichtigsten Bedürfnisse von sensiblen Kindern ist, eine sichere Bindung zur Vertrauensverson zu haben, entsteht so ein Bindungstrauma.

Wenn du nicht sicher, ob du hochsensibel bist, mach den Test.

Zwar geht der mit dem Trauma verbundene starke Schmerz äußerlich oft früher oder später vorbei, doch die Amygdala im Gehirn vergisst nichts und gleicht die nächsten negativen Erfahrungen stets mit den vorherigen Erlebnissen innerhalb des gleichen oder eines ähnlichen Kontextes ab. Durch wiederholte oder einzelne besonders intensive Traumata ist also auch eine Zerstörung des Urvertrauens möglich. In einem solchen Fall gilt für die betroffene Person dasselbe wie für diejenige, die nie ein solches Grundvertrauen aufbauen konnte: Es bedarf enorm vieler positiver Erfahrungen, um allmählich wieder vertrauen zu lernen.

Positive Erfahrungen schaffen durch Erfahrungsvertrauen und neues Urvertrauen

Immer wieder kommt es also auf positive Erfahrungen an. Sie erzeugen wahrhaftes Vertrauen, das sich vom reinen Glauben an jemanden oder etwas grundlegend unterscheidet. Das Erfahrungsvertrauen ist entstanden.

Menschen, die sich selbst misstrauisch begegnen, tragen eine große Angst des Versagens in sich. Ein geringes Selbstwertgefühl und Selbstzweifel sind die Folge und führen in der Regel auch dazu, anderen Personen grundsätzlich misstrauisch gegenüberzustehen. Zwar ist es möglich, mit innerlicher Arbeit einen gewissen „Glauben an das Gute“ zu entwickeln, doch echtes Vertrauen entsteht einzig und allein durch entsprechend positive Erfahrungen durch die Interaktion mit wichtigen Menschen und engen Bezugspersonen.

Vertrauen zu können ist in jedem Bereich des Lebens von enormer Wichtigkeit: Jede zwischenmenschliche Beziehung ernährt sich davon, egal ob die Protagonisten ein Säugling und seine Mutter, zwei romantisch Verliebte oder der einzelne Mensch und sein Selbst sind.

Ein gesundes Urvertrauen ist der sichere Weg zu positiver Ausstrahlung, einem starken Ich und erfüllenden Beziehungen. Ein starkes Ich führt zu einer positiven Ausstrahlung und somit zu erfüllenden Beziehungen, privat und beruflich. Selbst wenn das natürliche Urvertrauen fehlt, kann es durch kraftvolles Erfahrungsvertrauen wieder aktiviert werden.

Impuls: Finde Halt und baue so Erfahrungsvertrauen auf

So sieht dann auch die einfachste Übung für den Aufbau von Urvertrauen aus: Suche dir einfach mal ein Plätzchen, an dem du dich fallen lassen kannst. Ein Sessel mit hoher Lehne, Armlehnen und vielleicht sogar altmodischen Ohren ist dafür perfekt geeignet. Du lässt dich in den Sessel sinken und spürst, wie er dich hält. Du genießt den Halt, den der Sessel deinem Körper gibt, und nimmst bewusst wahr, wo dich das Sitzmöbel stützt. Wiederhole diese Übung jeden Tag für jeweils vier bis fünf Minuten. Du wirst bald spüren, wie dir das guttut.

Je mehr Erfahrungsvertrauen du entwickelst, desto mehr Vertrauen hast du in dich selbst. Du hast es nicht nötig, dich oder andere Menschen infrage zu stellen. Und du wirst auch in schwierigen Situationen nicht in Selbstzweifel versinken, sondern immer aus der schicksalhaften Situation lernen.

Mangelndes Urvertrauen wirkt sich letztendlich auch auf die Gesundheit negativ aus

Die anhaltenden schlechten Gefühle verursachen Stress, der das Immunsystem aus der Balance bringt. Die permanente Alarmbereitschaft durch Urmisstrauen mobilisiert alle Kräfte und entzieht dem Körper Energie. So nützlich der Fight-or-Flight-Modus evolutionsbiologisch ist, so schädlich ist er als Dauerzustand. Denn das Immunsystem reagiert erst einmal mit häufigen Infekten, wenn ihm die Luft ausgeht. Diese können sich zu chronischen Erkrankungen auswachsen oder zu Autoimmunerkrankungen werden.

Auch Krebs wird bisweilen mit zu viel Stress in Verbindung gebracht: Das Immunsystem sollte eigentlich die entarteten Zellen im Körper permanent beseitigen. Kann es seiner Aufgabe nicht mehr nachkommen, haben auch degenerierte Zellen wie Krebszellen die Chance, sich zu vermehren und auszubreiten.

Wenn du für dich selbst Stress reduzierst, kann dein Immunsystem dagegen wieder besser arbeiten

Es wird zuverlässig dafür sorgen, dass du gesund bleibst. Somit hängt das Urvertrauen auch mit deiner Gesundheit zusammen. Besonders für hochsensible Menschen ist dieser Aspekt wichtig, denn ihr Reizverarbeitungssystem wird durch zu viel Stress massiv gestört.

Herzlichst
Anne Heintze

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