Nicht beziehungsfähig? Irrtum! Autisten leben Beziehungen anders

Nicht beziehungsfähig? Irrtum! Autisten leben Beziehungen anders
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„Ich glaube, ich bin einfach nicht beziehungsfähig.“

Diesen Satz höre ich oft von Menschen im Autismus-Spektrum – sei es von diagnostizierten Asperger-Autisten oder von Menschen, die autistische Züge an sich erkennen. Sie haben das Gefühl, dass sie Beziehungen nicht so führen können, wie sie es „sollten“, und vergleichen sich mit neurotypischen Menschen, die scheinbar mühelos soziale Kontakte knüpfen, Small Talk genießen und intensive emotionale Nähe aufbauen.

Doch genau hier liegt das Problem.

Nicht die Bindungsfähigkeit ist das Problem – sondern das falsche Referenzmodell. Denn Autisten sind sehr wohl bindungsfähig – sie binden nur anders.

Bindung im Autismus-Spektrum: Warum sie anders funktioniert

Menschen mit Autismus oder autistischen Zügen erleben soziale Interaktionen oft auf eine andere Weise. Viele neurotypische Bindungsmuster sind für sie nicht intuitiv, sondern erfordern bewusste Anstrengung. Das bedeutet aber nicht, dass sie keine tiefen und wertvollen Beziehungen eingehen können – sie gestalten sie nur anders.

Autistische Bindungsmuster unterscheiden sich oft in diesen Punkten:

  • Tiefe statt Breite: Während neurotypische Menschen oft ein großes Netzwerk an Bekannten und Freunden haben, bauen autistische Menschen meist wenige, dafür besonders tiefe Beziehungen auf.
  • Interessenbasierte Bindung: Small Talk ist für viele Autisten anstrengend und unnötig. Sie verbinden sich viel stärker über gemeinsame Interessen, tiefgehende Gespräche oder Spezialgebiete.
  • Verzögerte oder unkonventionelle Beziehungsprozesse: Manche Autisten brauchen länger, um Vertrauen zu fassen oder Bindung zuzulassen. Das bedeutet nicht, dass sie nicht interessiert sind – sondern dass ihre Art der Annäherung anders verläuft.
  • Stille, aber beständige Nähe: Während neurotypische Menschen Nähe oft durch regelmäßigen Kontakt ausdrücken, kann für autistische Menschen eine tiefe Bindung bestehen, ohne dass sie ständig kommunizieren müssen.

Ein großer Fehler ist es, sich mit neurotypischen Menschen zu vergleichen. Bindung im autistischen Spektrum ist nicht weniger wertvoll – sie ist nur anders.

Warum der Vergleich mit Neurotypischen oft toxisch ist

Viele autistische Menschen leiden darunter, dass sie „nicht normal“ erscheinen oder dass ihre Art der Bindung nicht als gültig angesehen wird. Sie versuchen, neurotypische Sozialmuster zu imitieren, passen sich an – und scheitern.

Das führt oft zu Selbstzweifeln, sozialer Erschöpfung und dem Glauben: „Ich bin einfach nicht beziehungsfähig.“

Doch dieser Gedanke ist nicht nur falsch, sondern auch zerstörerisch.

Wenn du dich ständig mit einer anderen Art von Gehirn vergleichst, wirst du dich immer als defizitär erleben.

Neurotypische Menschen haben andere neurologische Voraussetzungen für Bindung, Kommunikation und soziale Interaktion. Das bedeutet nicht, dass ihre Art „richtiger“ ist – sie ist nur anders.

Autisten, die aufhören, sich mit neurotypischen Maßstäben zu messen, und ihre eigene Art der Bindung akzeptieren, erleben oft eine enorme Erleichterung. Sie erkennen:

„Ich bin nicht unfähig, ich bin nur anders – und das ist okay.“

Wie autistische Menschen Bindung erleben – eine andere Perspektive

Viele Autisten empfinden Beziehungen als intensiv, aber auf ihre eigene Weise. Sie brauchen vielleicht weniger physischen Kontakt oder müssen sich nicht ständig austauschen, um sich verbunden zu fühlen. Ihre Art der Bindung ist oft sehr loyal, ehrlich und stabil.

  • Wenn ein Autist sich bindet, dann wirklich. Es gibt oft keine oberflächlichen Kontakte oder halbherzige Beziehungen.
  • Verlässlichkeit und Ehrlichkeit sind zentrale Werte. Viele autistische Menschen können mit subtilen sozialen Spielen wenig anfangen – sie sind lieber direkt und klar.
  • Gemeinsames Erleben statt emotionaler Austausch: Während neurotypische Menschen oft durch emotionale Gespräche Nähe aufbauen, tun das autistische Menschen oft durch gemeinsame Interessen oder Aktivitäten.

Wie autistische Menschen Beziehungen langfristig gestalten können

Wenn du dich in dieser Beschreibung wiedererkennst und manchmal denkst: „Ich bin nicht bindungsfähig“, dann ist es wichtig, dein eigenes Verständnis von Bindung zu verändern.

Hier sind ein paar Wege, um deine Beziehungen auf deine eigene Weise gesund und erfüllend zu gestalten:

  1. Hör auf, dich zu vergleichen. Deine Art der Bindung ist nicht schlechter oder weniger wertvoll – sie ist nur anders.
  2. Erkenne, wie du Bindung empfindest. Welche Arten von Beziehungen fühlen sich für dich gut an? Wo fühlst du dich sicher?
  3. Lass dich nicht in neurotypische Muster zwingen. Du musst kein Small Talk-Profi werden oder emotionale Ausdrucksweisen übernehmen, die sich nicht echt anfühlen.
  4. Finde Gleichgesinnte. Es gibt Menschen, die deine Art der Bindung verstehen und schätzen. Manchmal sind das andere neurodivergente Menschen, manchmal einfach Menschen, die sensibel für individuelle Unterschiede sind.
  5. Sei offen, aber setze klare Grenzen. Manche Beziehungen funktionieren einfach nicht, weil zu große Unterschiede in der Erwartungshaltung bestehen. Das ist okay.

 

Bindung ist kein Einheitskonzept

Viele autistische Menschen glauben lange, sie seien nicht bindungsfähig – bis sie erkennen, dass sie nur in einem falschen System gemessen wurden.

Bindung funktioniert für autistische Menschen anders als für neurotypische – und das ist gut so.

Anstatt sich als „falsch“ zu sehen, ist es an der Zeit, die eigene Art der Verbindung zu akzeptieren und Menschen zu finden, die genau damit harmonieren. Denn echte Bindung entsteht dort, wo du du selbst sein kannst.

Ich hoffe, ich habe das Geschenk deiner Zeit verdient.

Sonnige Grüße

Anne

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