Asperger-Autismus: Eine andere Facette der Hochbegabung

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Vor einigen Jahren erhielt ich einen Anruf meiner Mutter. Sie hatte im Radio einen Bericht über Asperger – Autismus gehört. Unter Tränen sagte sie mir, dass sie da erst – nach mehr als 50 Jahren Ehe – meinen Vater zum ersten Mal verstanden hat, seine Art, seine Interessen, seine Kommunikationsform, seine Introvertiertheit. Sie fragte mich: „Warum hast du mir nicht früher davon erzählt, du kennst dich doch mit dem Thema aus?“

Sie hat recht, ich habe nie mit ihr drüber gesprochen, weil es mir einfach klar war, dass mein Vater ein sehr besonderer Mann ist und ich keine Notwendigkeit sah, das nach so langer Zeit zu thematisieren. Hätte ich es nur getan! Sie sagte: „Wenn ich es nur früher gewusst hätte, dann hätte ich mir viel weniger Gedanken darüber gemacht, ob es an mir liegt, wie er sich verhält, was ich falsch mache oder besser machen könnte, damit er kommunikativer wird. Mein Leben wäre viel entspannter gewesen.“

Damit das Leben anderer Menschen entspannter ist, möchte ich über das Asperger-Phänomen informieren und aufklären.

Das Asperger-Syndrom gehört zu den milderen Formen des Autismus. Erst in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts wurde dieser speziellen autistischen Auswirkung, die bereits 1944 von dem österreichischen Kinderarzt Hans Asperger beschrieben wurde, größere Aufmerksamkeit zuteil.

Das Syndrom wird häufig erst spät diagnostiziert, da die Ausprägungen nicht immer sehr auffällig sind. Menschen mit Asperger-Syndrom wirken auf ihre Mitmenschen meist einfach nur schrullig und etwas merkwürdig, so wie mein Vater. Die Auffälligkeiten werden gerade im Kindesalter mit sozialen Problemen und Verhaltensstörungen in Verbindung gebracht. Viele Betroffene erfahren erst im Erwachsenenalter, dass es einen Begriff dafür gibt.

Manche Empfindensformen und Verhaltensweisen sowie die Wahrnehmungs- und Reizverarbeitung sieht bei hochsensiblen Menschen ähnlich aus wie bei Menschen mit Asperger-Syndrom. Deswegen ist es wichtig herauszufinden, ob du vielleicht hochsensibel oder hochsensitiv bist. Mach hier den Test dazu.

 

Das Asperger-Syndrom wird erst spät erkannt

Die Schwierigkeiten der Früherkennung liegen darin, dass Kinder mit Asperger Autismus normale Schulen besuchen können. Nur wegen ihrer speziellen Verhaltensweisen oder einer sozialen Andersartigkeit fallen sie aus dem Rahmen. Erst wenn sich die Symptome verstärken und die Kinder aggressiv werden oder sich völlig zurückziehen, wird eine Diagnose erstellt.

Manche Menschen mit Asperger-Syndrom durchlaufen ihre ganze Schulzeit jedoch auch ohne große Auffälligkeiten, sodass das Syndrom gar nicht erkannt wird. Wegen ihres zurückgezogenen, manchmal unverständlichen Verhaltens, fast immer aber wegen ihrer Schwierigkeit im Team zu arbeiten, bleiben die Probleme später im Job und im Privatleben nicht aus.

Probleme von Menschen mit Asperger-Syndrom

Die negativen Auswirkungen des Asperger-Syndroms machen sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass die Betroffenen sehr vergesslich sein können oder sich leicht ablenken lassen. Auffallend ist ihre Schwierigkeit, eine Situation als Ganzes zu erfassen, sondern sie konzentrieren sich auf ganz bestimmte Teilbereiche.

Den Betroffenen fällt es schwer, sich in andere Menschen hinzuversetzen oder die Wirkung ihres eigenen Handelns auf andere einzuschätzen. Auf Geräusche, Licht oder Berührungen reagieren sie entweder sehr empfindlich oder gar nicht. Es sind vor allem diese Schwächen, die von der Umwelt wahrgenommen werden, und häufig wird übersehen, dass Asperger-Patienten über erstaunliche Fähigkeiten und Stärken verfügen.

Asperger-Autismus: Hochbegabungen und Inselbegabungen

Ihre großen Stärken liegen darin, dass die Betroffenen über einen sehr starken Gerechtigkeitssinn verfügen. Lügen, Illoyalität oder Unzuverlässigkeit sind ihnen fremd. Ihre sprachlichen Fähigkeiten sind sehr ausgeprägt, wobei sie jeden Satz wörtlich nehmen und meinen. Gelegentlich haben sie ein fotografisches Gedächtnis, das ihnen eine erstaunliche Wissensfülle vor allem in ihren speziellen Interessensgebieten vermittelt.

Oftmals handelt es sich bei Asperger-Patienten um Menschen, die über eine Hochbegabung oder eine Inselbegabung verfügen. Hat ein Bereich erst einmal ihr Interesse geweckt, bleiben sie motiviert und legen eine große Leistungsbereitschaft an den Tag. Wichtige Hilfen im Umgang mit Familienmitgliedern oder Kollegen, die am Asperger-Syndrom leiden, sind Verständnis, Zugewandtheit und Anerkennung ihrer besonderen Fähigkeiten. Rückzugsmöglichkeiten, eine klare unmissverständliche Sprache und eine feste Tagesroutine helfen den Betroffenen dabei, den Alltag zu meistern.

Die Welt meines Vaters und seine besondere Begabung liegt in der klassischen Musik. Er kennt nicht nur das Gesamtwerk vieler Barockkomponisten, sondern erkennt auch, welche Interpreten, Orchester und Dirigenten er gerade hört. Meine Kindheit war voller Musik. Zu Hause und in verschiedenen Konzerthäusern habe ich einen Teil seiner Welt kennenlernen dürfen. Ich bin dafür sehr dankbar.

Lies hier mehr Artikel über Asperger, Autismus und die HOCHiX Themen:


Bücher:

Allen die sich für den Asperger-Autismus aus Sicht eines Betroffenen interessieren, kann ich das folgende Buch nur wärmstens empfehlen: Axel Brauns: Buntschatten und Fledermäuse. In diesem Buch beschreibt der Autor seine Kindheit und Jugendzeit. Dieser Debütroman erhielt viele Preise.

Ebenfalls interessant zu lesen: Tony Attwood: Leben mit dem Asperger-Syndrom.

Der Verein Aspies eV. informiert ausführlich darüber.
Video über Asperger-Autismus bei Quarks & Co.
Video über Asperger-Autismus bei Kindern des ZDF.
Artikel in der Zeit über Aspies im Beruf.

Alles Liebe!
Ann

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Kommentare

4 Responses

  1. Luise, du sprichst mir aus der Seele. Genau so ist es. Empathie ist vorhanden und manchmal gelingt es auch, diese in Worte zu fassen oder im Gespräch zu bewerten und zu reflektieren. Aber die praktische Umsetzung ist ein Problem. Jemand ist traurig, mein Kind kann erkennen warum und einen klaren Zusammenhang erstellen. Es kann diese, seine, Wahrnehmung auch kommunizieren. Und es weiß auch oft, was zu tun wäre, um dem Menschen zu helfen. Tut es aber nicht. Es wäre zu nah, zu intensiv, zu intim …. Das wäre kein gutes Gefühl für unser Kind oder sogar quälend. Deshalb unternimmt es nichts oder gibt im besten Fall die erlebte Situation an einen anderen Menschen weiter und hat somit doch eine Art von Hilfe geboten. Es hat die Aufgabe, zu trösten, an jemand anderen abgegeben, in dem es einem anderen Menschen sagt: “ Da weint jemand.“ Unser Kind selbst wirkt von außen betrachtet „unberührt“. Aber unberührt ist es ganz und gar nicht.
    So erlebe ich mein Kind.

  2. Einige der hier beschriebenen Eigenschaften kann ich nicht bestätigen. Sowohl Empathie als auch Einfühlungsvermögen kennen Asperger Autisten, sie sind mit solchen Situationen nur meistens völlig überfordert und versteinern nach außen, aus Angst, falsch zu reagieren und aus Unfähigkeit, mit diesen starken Gefühlen umzugehen. Ich empfehle die Intense-World-Theory von Henry Markram hinzuzuziehen.

      1. Ein guter Artikel, der vor allem auf die Schwierigkeiten hochfunktionaler Autisten mit guten Kompensationsgähigkeiten eingeht, die oft (jahrzehnte)lang auf eine Antwort auf ihre Schwierigkeiten warten müssen und darüber an ihren Schwächen verzweifeln.

        Neben der Kombination Hochbegabung und ASS gibt es natürlich auch die Kombination Hochsensibilität und ASS.
        Aber so wie nicht alle Asperger hochbegabt sind, sind auch nicht alle hochsensibel… insofern treffen die Angaben zum fehlenden Einfühlungsvermögen (bitte nicht zu verwechseln mit Gefühllosigkeit) für viele Aspergerautisten (mich eingeschlossen) eben doch zu.

        LG, Julia

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