Neulich hatte eine wunderbare, hochbegabte und hochsensible Frau im Coaching ein intensives Aha-Erlebnis im Zusammenhang mit dem Bilderdenken.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte sie sich für dumm gehalten.
Alle anderen Familienmitglieder waren ihrer Meinung nach sicher hochbegabt, aber sie leider nicht, da sie nicht „richtig“ denken könne.
Erst die Erkenntnis, dass sie durchaus sehr gut denken kann, aber einfach anders denkt als die meisten Menschen, half ihr zu akzeptieren, dass auch sie zu den bunten Zebras gehört. Sie denkt in Bildern, also visuell-räumlich, nicht in Worten oder Zahlen. Geahnt hatte sie es schon lange, aber verstanden erst jetzt…..
Rechts, Links und die moderne Neurowissenschaft
Du hast vielleicht schon von der Idee der „rechten“ und „linken“ Gehirnhälfte gehört. Diese Vorstellung, dass die linke Hemisphäre für logisches Denken und Sprache zuständig ist, während die rechte Hemisphäre Kreativität und räumliches Denken steuert, war lange Zeit sehr populär. Und sie enthält durchaus einen wahren Kern – aber die Realität ist komplexer und faszinierender.
Die vereinfachte Sichtweise
Die traditionelle Sichtweise besagt:
- Linke Gehirnhälfte: analytisch, logisch, sprachlich, sequentiell
- Rechte Gehirnhälfte: kreativ, intuitiv, bildlich, ganzheitlich
Diese Einteilung ist nicht völlig falsch.
Sie basiert auf frühen Forschungen, besonders an Patienten mit durchtrenntem Corpus Callosum (die Verbindung zwischen den Gehirnhälften). Diese Studien zeigten tatsächlich Unterschiede zwischen den Hemisphären.
Was die moderne Neurowissenschaft sagt
Die heutige Forschung zeichnet ein nuancierteres Bild:
- Zusammenarbeit: Beide Gehirnhälften arbeiten bei den meisten Aufgaben eng zusammen. Das Gehirn ist hochvernetzt.
- Relative Spezialisierung: Es gibt gewisse Tendenzen zur Spezialisierung, aber diese sind nicht absolut. Die linke Hemisphäre ist oft dominanter für Sprache, die rechte für räumliche Aufgaben – aber nicht ausschließlich.
- Individuelle Unterschiede: Die genaue Verteilung der Funktionen kann von Person zu Person variieren.
- Plastizität: Das Gehirn ist anpassungsfähig. Bei Verletzungen kann eine Hemisphäre teilweise Funktionen der anderen übernehmen.
Die Brücke: Warum die Vereinfachung nützlich sein kann
Auch wenn die strikte Trennung in „rechts“ und „links“ eine Übervereinfachung ist, kann sie als Metapher durchaus hilfreich sein:
- Verständlichkeit: Sie bietet einen einfachen Rahmen, um unterschiedliche Denkstile zu verstehen und zu beschreiben.
- Selbstreflexion: Die Idee kann Menschen helfen, über ihre eigenen Stärken und Präferenzen nachzudenken.
- Wertschätzung von Vielfalt: Sie kann dazu beitragen, unterschiedliche Herangehensweisen an Probleme und Aufgaben zu schätzen.
- Pädagogischer Wert: In Bildung und Coaching kann diese Metapher helfen, verschiedene Lernansätze zu erklären und zu fördern.
Das Bilderdenken im Kontext
Wenn wir also vom „Bilderdenken“ sprechen, meinen wir nicht, dass du ausschließlich deine „rechte Gehirnhälfte“ benutzt. Vielmehr beschreiben wir eine Tendenz, Informationen visuell und räumlich zu verarbeiten. Diese Fähigkeit entsteht durch das Zusammenspiel verschiedener Gehirnregionen, auch wenn einige davon möglicherweise stärker in der rechten Hemisphäre lokalisiert sind.
Dein gesamtes Gehirn ist an deinem einzigartigen Denkprozess beteiligt. Das Konzept des Bilderdenkens hilft uns, eine bestimmte Art der Informationsverarbeitung zu beschreiben und wertzuschätzen, ohne dabei die Komplexität deines Gehirns zu unterschätzen.
Indem du deine Neigung zum Bilderdenken erkennst und nutzt, kannst du deine natürlichen Stärken optimal einsetzen – unabhängig davon, welche Gehirnregionen genau daran beteiligt sind.
40 Responses
Ein tolles, spannendes Thema! Ich denke, dass auch ich (hauptsächlich) eine Bilderdenkerin bin. Zur Zeit befrage ich hin und wieder meine Verwandten, Bekannten und Freunde zu ihrer Art und Weise, nachzudenken. Es ist hochgradig interessant, was dabei manchmal herauskommt.
Besonders spannend finde ich, dass einige Menschen an gar Nichts denken können oder ihre Gedankengänge (in Form eines inneren Mono-/Dialogs) recht gut stoppen können. Das gelingt mir beispielsweise nicht besonders gut, da ich gedanklich ständig visuellen Input bekomme, ob ich will, oder nicht. Da das Bilderdenken schneller geschieht, könnte ich mir vorstellen, dass es dementsprechend auch schwieriger ist, die einschießenden Bilder zu stoppen oder zu kontrollieren. Damit tue ich mir in der Regel schwer.
Andererseits wird mir selten langweilig, da ich ein kostenloses Kino besitze. Außerdem empfinde ich meine Bilder oft als Bereicherung und Anreiz für kreative Projekte.
Toller Artikel – Noch eine kleine Anmerkung: Mit der Rechtschreibung hatte ich persönlich nie Schwierigkeiten – Ganz im Gegenteil, gerade dort lag immer eine große Stärke, weil ich mir jedes Wort ziemlich schnell visuell abspeichern und somit sein „Aussehen“ sehr gut merken konnte. Ich habe mir mit 4 Jahren selbst das Lesen beigebracht.
Ich hatte und habe hingegen größere Probleme in der Mathematik.
Hola! Mich hat es auch immer sehr fasziniert, dass es Menschen gibt, die einfach so, ganz ohne Übung nichts denken können. Sie müssen dazu nicht meditieren lernen oder den Flow suchen, sie können es einfach.
Herzlichst, Anne
Also ich bin wahrscheinlich nicht hochbegabt. Aber ganz sicher sehr individuell mit dem Denken.. meine Gedanken welt kann ich niemanden ansatzweise erklären weil alles so unnatürlich und bunt ist. Ich versuchs mal irgendwie: ich seh aus dem Zug Fenster die Gleise und stell mir vor wie sie hoch schweben und eine Kugel Formen, welche dann in ein Haus kracht und ich sehe die Bewohner auf dem Kopf stehend, welche ich beim Weihnachtslieder singen unterbrochen habe, mich anglotzend.. bla bla. Nur ein einfaches Beispiel, alles andere wie gesagt nicht erklärbar. Ein anderes Thema mit dem ich mich in inneren Debatten, Theorien und Ideen beschäftige sind Bsp unsere gestörte Gesellschaft und auch merke ich wahnsinnig viel was zwischen menschlich passiert, wenn zwei Leute miteinander reden..(geht sehr tiefgründig) ich fühle mich aber sehr unverbunden.. ich bin wie ein Zuschauer von mir selbst und denke in mehreren „Ebenen“ gleichzeitig. Ich kann ganz selten richtig abschalten und mich fallen lassen weil ich ständig beobachte und analysiere.. kenne nur einen, der ähnlich denkt aber nicht ansatzweise gleich wie ich. Menschen und Psychologie sind interessant.. hätte sehr gerne jemanden, der meine Gedanken gänge irgendwie bestätigen könnte. Viele glauben ich bin dumm und langsam im Denken, aber ich weiß, dass die anderen dumm sind und nicht ich.. die Aussage ist sehr schwammig ja aber keine ahnung mein kopf hat grad alles vergessen was ich schreiben wollte. habe übrigens auch ADHS was das ganze deutlich intensiver macht. an alle liebe grüße:)
Noch nie konnte ich jemand so zustimmen wie dir vor allem diese „merkwürdige“ Denkweise von dem Zug usw. Stelle mir z.B. vor wie sich meine negativen Gedanken in ein unvorstellbar großen Metall-„ball“ formen mit vielen Zacken und Ecken (wenn man das Ball nennen kann??) Der Rest deine Interessen usw. 1zu1