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Hochsensibilität & Übergewicht: Wenn der Körper einen Schutzmantel trägt
Du kämpfst mit überflüssigen Pfunden, obwohl du „alles richtig“ machst? Bei Hochsensiblen ist Übergewicht oft mehr als eine Frage von Kalorien und Bewegung. Es kann ein unbewusster Schutzmantel sein – eine körperliche Barriere gegen eine Welt, die sich zu intensiv anfühlt. Chronischer Stress, emotionales Essen und ein überaktiviertes Nervensystem schaffen komplexe Zusammenhänge zwischen Psyche und Körpergewicht.
Der unsichtbare Schutzpanzer: Übergewicht als emotionale Regulation
Stell dir vor, dein Körper würde für dich entscheiden, eine zusätzliche Schutzschicht anzulegen – nicht bewusst, sondern als automatische Reaktion auf eine Welt, die sich zu überwältigend anfühlt. Für viele Hochsensible ist Übergewicht genau das: ein unbewusster Versuch des Körpers, Abstand zu schaffen, Reize zu dämpfen und ein Gefühl von Sicherheit zu vermitteln.
Diese zusätzlichen Kilos können verschiedene psychologische Funktionen erfüllen: Sie schaffen physischen Abstand zu anderen Menschen, sie können ein Gefühl von Stabilität und Erdung vermitteln, und sie können sogar als Ausrede dienen, um sich aus überstimulierenden sozialen Situationen zurückzuziehen. „Ich kann nicht zu der Party, ich fühle mich zu unwohl in meinem Körper“ – diese Aussage kann ehrlich gemeint sein und gleichzeitig eine unbewusste Schutzstrategie darstellen.
Für hochsensible Menschen, die täglich mit Reizüberflutung kämpfen, kann das Übergewicht paradoxerweise ein Gefühl von Kontrolle vermitteln. In einer Welt, in der so vieles überwältigend und unkontrollierbar erscheint, wird der eigene Körper zu einem Bereich, über den man – vermeintlich – noch Macht hat.
Diese Dynamik ist weder bewusst noch pathologisch – sie ist eine natürliche Anpassungsreaktion eines sensiblen Systems auf chronische Überforderung. Das Verständnis dieser tieferen Ebene ist entscheidend, denn reine Diätansätze greifen hier zu kurz.
Psychologische Funktionen von Übergewicht bei Hochsensiblen:
- Physische Barriere zur Außenwelt und zu anderen Menschen
- Gefühl von Stabilität und Erdung in einem chaotischen Umfeld
- Unbewusste Ausrede für den Rückzug aus überstimulierenden Situationen
- Kompensation für das Gefühl, verletzlich und schutzlos zu sein
- Ausdruck von Selbstfürsorge in einer als bedrohlich empfundenen Welt
Cortisol: Das Stresshormon als Gewichtstreiber
Bei Hochsensiblen ist das Stresssystem besonders aktiv – und das hat direkte Auswirkungen auf das Körpergewicht. HSP haben in der Regel einen höheren Cortisolwert als Normalsensible (Hochsensibilität und Trauma Coaching, 2022). Dieses „Dauerstresshormon“ bringt eine Kaskade von körperlichen Veränderungen mit sich, die Gewichtszunahme begünstigen.
Wissenschaftliche Studien konnten zeigen, dass Menschen mit einem gesteigerten Stresslevel tendenziell einen höheren Body-Mass-Index (BMI) aufweisen und dass Stress zu einer Gewichtszunahme führen kann (zanadio, 2024). Bei Hochsensiblen verstärkt sich dieser Effekt, weil ihr Nervensystem schneller und intensiver auf Stressoren reagiert.
Cortisol verändert den Stoffwechsel auf mehreren Ebenen: Es erhöht den Blutzuckerspiegel, fördert die Einlagerung von Bauchfett und verstärkt das Verlangen nach energiereichen, süßen und fettigen Lebensmitteln. Studien zeigen, dass Frauen unter Stress mehr Appetit haben und eher zu Süßigkeiten und Fast Food greifen (cerascreen).
Besonders problematisch: Ein zu hoher Cortisolwert ist auch verantwortlich für das „emotionale Nachhallen“, von dem hochsensible Menschen oft berichten. Eine kleine Auslösesituation kann dafür sorgen, dass ein unangenehmes Gefühl, ein Problemgedanke manchmal sogar über Tage präsent ist (Hochsensibilität und Trauma Coaching, 2022). Dieser chronische Stress hält den Cortisolspiegel konstant erhöht.
Der Universitätsforscher Professor Jan Tuckermann konnte zeigen, warum Stresshormone wie das Cortisol einen massiven Einfluss auf den Fettstoffwechsel haben: „Aus diesen Ergebnissen leitet sich im Umkehrschluss ab, dass Stresshormone die Gewichtszunahme beschleunigen und Alterdiabetes begünstigen können“ (Universität Ulm).
Cortisol-Effekte auf das Gewicht bei Hochsensiblen:
- Erhöhte Fettspeicherung, besonders im Bauchbereich
- Gesteigerter Appetit auf süße und fettige Lebensmittel
- Verlangsamter Stoffwechsel bei chronischem Stress
- Schlechtere Insulinresistenz und Blutzuckerregulation
- Muskelabbau bei gleichzeitiger Fettzunahme
Emotionales Essen: Wenn Nahrung zur Selbstmedikation wird
Für viele Hochsensible wird Essen zu einer Form der Selbstmedikation gegen emotionale Überforderung. Das ist keine Willensschwäche, sondern eine biologisch sinnvolle Reaktion: Bestimmte Nahrungsmittel können tatsächlich kurzfristig beruhigend und stabilisierend wirken.
Kohlenhydratreiche Lebensmittel erhöhen die Serotoninproduktion – das „Glückshormon“, das bei Hochsensiblen oft in verringerter Konzentration vorliegt. Fettreiche Nahrung aktiviert das Belohnungssystem im Gehirn und kann kurzfristig Stress und Angst lindern. Der Prozess des Essens selbst aktiviert den Parasympathikus – den „Ruhe-und-Verdauung“-Teil des Nervensystems.
Studien zeigen, dass Menschen in negativen affektiven Zuständen hedonisch belohnende Lebensmittel mit hohem Zucker- und/oder Fettgehalt bevorzugen (PMC – Stress and Eating Behaviors). Nach Laborexposition gegenüber Ego-Bedrohungen aßen Menschen mit hoher negativer Affektivität oder größerer Cortisolreaktivität mehr Lebensmittel mit hohem Zucker- und Fettgehalt.
Das Problem: Was kurzfristig beruhigt, kann langfristig zu einem Teufelskreis werden. Emotionales Essen führt zu Gewichtszunahme, die Gewichtszunahme führt zu Scham und mehr Stress, der mehr emotionales Essen zur Folge hat.
Bei Hochsensiblen ist dieser Zyklus besonders ausgeprägt, weil sie:
- Emotionen intensiver erleben und länger brauchen, um sich zu regulieren
- Weniger Zugang zu anderen Bewältigungsstrategien haben könnten
- Sich schneller überwältigt fühlen und nach schnell verfügbarer „Hilfe“ suchen
- Sensibel auf die beruhigende Wirkung bestimmter Nahrungsmittel reagieren
Mechanismen des emotionalen Essens bei Hochsensiblen:
- Kurzfristige Serotoninerhöhung durch Kohlenhydrate
- Aktivierung des Belohnungssystems durch fett- und zuckerreiche Nahrung
- Beruhigung des Nervensystems durch den Essensprozess selbst
- Ablenkung von überwältigenden Emotionen oder Gedanken
- Unbewusste Selbstbestrafung oder Selbsttröstung
Der Teufelskreis: Stress, Stigma und weitere Gewichtszunahme
Übergewicht kann nicht nur durch Stress entstehen, sondern ein erhöhtes Körpergewicht kann auch zu vermehrtem Stress führen. Ein Grund dafür ist die weitverbreitete gewichtsbezogene Stigmatisierung – also die Zuschreibung negativer Eigenschaften auf Menschen mit Adipositas wie Faulheit oder geringere Intelligenz (zanadio, 2024).
Für Hochsensible ist diese Stigmatisierung besonders belastend, weil sie Kritik und negative Bewertungen intensiver wahrnehmen und länger darunter leiden. Allein die Angst vor negativer Bewertung aufgrund des Gewichts ist stressig, und das Erleben von Stigmatisierung führt zu einer gesteigerten Cortisolausschüttung.
Ein perfider Kreislauf entsteht: Stress führt zu Gewichtszunahme, Gewichtszunahme führt zu sozialer Stigmatisierung, die Stigmatisierung führt zu mehr Stress, der weitere Gewichtszunahme begünstigt. Bei Hochsensiblen wird dieser Kreislauf durch die intensivere Wahrnehmung sozialer Ablehnung noch verstärkt.
Britische Forscher untersuchten, dass übergewichtige Menschen Stress und chronisch erhöhte Cortisolwerte entwickeln, wenn sie wegen ihres Übergewichts diskriminiert werden. Der erhöhte Cortisolspiegel begünstigt wiederum eine weitere Gewichtszunahme (cerascreen).
Der Stigma-Stress-Gewicht-Kreislauf:
- Übergewicht führt zu sozialer Ablehnung und Vorurteilen
- Hochsensible nehmen diese Ablehnung besonders intensiv wahr
- Die emotionale Belastung erhöht den Cortisolspiegel
- Höheres Cortisol begünstigt weitere Gewichtszunahme
- Mehr Gewicht führt zu noch stärkerer Stigmatisierung
Praktische Wege aus dem Gewichtsteufelskreis
Der Weg zu einem gesunden Gewicht ist für Hochsensible komplexer als reine Kalorienbilanz. Es geht darum, das gesamte System – Stress, Emotionen, Nervensystem und Körper – wieder in Balance zu bringen.
- Stressmanagement als Fundament. Bevor du an der Ernährung arbeitest, solltest du dein Stresslevel reduzieren. Chronisch erhöhtes Cortisol macht jede Gewichtsabnahme deutlich schwieriger. Regelmäßige Entspannungspraktiken, Meditation, sanfte Bewegung und ausreichend Schlaf sind die Basis. Studien zeigen, dass schon 30 Minuten moderate Bewegung täglich überschüssiges Cortisol und Adrenalin abbauen können. Nach etwa 45 Minuten steigt der Cortisolspiegel jedoch wieder an – weniger ist also mehr (Übergewicht.de, 2024).
- Emotionale Regulation ohne Essen Entwickle alternative Strategien zur emotionalen Selbstregulation. Das können Atemübungen, kurze Spaziergänge, beruhigende Musik oder Gespräche mit vertrauten Menschen sein. Je mehr Werkzeuge du hast, desto weniger bist du auf Essen angewiesen.
- Achtsame Ernährung Statt restriktiver Diäten praktiziere achtsame Ernährung. Höre auf deine Hunger- und Sättigungssignale, iss langsam und bewusst, und wähle Lebensmittel, die dich nähren und stabilisieren, anstatt nur zu beruhigen.
- Professionelle Unterstützung Bei komplexeren Problemen mit emotionalem Essen oder stark ausgeprägtem Übergewicht kann professionelle Hilfe sinnvoll sein. Therapeuten, die sowohl mit Hochsensibilität als auch mit Essstörungen vertraut sind, können individuelle Strategien entwickeln.
Praktische Strategien für hochsensible Menschen:
- Tägliche Entspannungspraktiken zur Cortisol-Reduktion
- Alternative Bewältigungsstrategien für emotionale Überforderung
- Achtsame Ernährung statt restriktiver Diäten
- Sanfte, regelmäßige Bewegung (maximal 45 Minuten)
- Professionelle Unterstützung bei komplexeren Problemen
Kurz und knackig
Übergewicht ist bei Hochsensiblen oft mehr als ein Ernährungsproblem – es kann ein unbewusster Schutzmantel gegen Reizüberflutung sein. Chronisch erhöhtes Cortisol durch ständigen Stress begünstigt Gewichtszunahme, während emotionales Essen als Selbstmedikation dient. Soziale Stigmatisierung verstärkt den Teufelskreis aus Stress und Gewichtszunahme. Der Weg zu einem gesunden Gewicht führt über Stressreduktion, emotionale Regulation und achtsame Ernährung – nicht über restriktive Diäten. Verstehe dein Übergewicht als Schutzfunktion, nicht als Versagen.
Wissenschaftliche Quellen:
- Hochsensibilität und Trauma Coaching (2022): „Cortisol – Hochsensible im Dauerstress“ – https://www.loesungs-coaching.de/cortisol-hochsensible-und-dauerstress/
- zanadio (2024): „Gewichtszunahme durch Stress“ – https://zanadio.de/abnehmen/gewichtszunahme-durch-stress/
- cerascreen: „Cortisol senken – Abnehmen durch Stressabbau“ – https://www.cerascreen.de/blogs/gesundheitsportal/cortisol-senken-abnehmen-durch-stressabbau
- Universität Ulm: „Speck durch Stress? Stresshormone begünstigen Diabetes und Übergewicht“ – https://www.uni-ulm.de/home/uni-aktuell/article/speck-durch-stress-stresshormone-beguenstigen-diabetes-und-uebergewicht/
- PMC – National Center for Biotechnology Information: „Stress and Eating Behaviors“ – https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4214609/
- Übergewicht.de (2024): „Übergewicht und Stress: Zusammenhang, Ursachen & Tipps“ – https://www.ueber-gewicht.de/blog/stress-uebergewicht.html
- Juniper (2024): „Kann ich durch das Stresshormon Cortisol zunehmen?“ – https://www.myjuniper.com/de/magazin/cortisolmangel-gewichtszunahme
- AOK (2023): „Wie Cortisol und Stress zusammenhängen“ – https://www.aok.de/pk/magazin/wohlbefinden/stress/wie-cortisol-und-stress-zusammenhaengen/
Ich hoffe, ich habe das Geschenk deiner Zeit verdient.
Sonnige Grüße von
Anne
Finde hier die komplette Serie „Hochsensibilität und Ernährung“:
- Teil 1:Hochsensibilität & Ernährung: Wie dein Nervensystem jede Mahlzeit mitentscheidet
- Teil 2: Hochsensibilität & Nahrungsmittelunverträglichkeiten: Warum dein Körper anders reagiert
- Teil 3: Hochsensibilität & Reizstoffe: Wenn kleinste Mengen große Wirkung haben
- Teil 4: Hochsensibilität, Reizdarm & Mikrobiom: Wenn dein Bauch die Wahrheit sagt
- Teil 5: Hochsensibilität & Fasten: Sanfter Reset für Nervensystem und Klarheit
- Teil 6: Hochsensibilität & Ernährungsformen: Empathie trifft auf biologische Realität
- Teil 7: Hochsensibilität & Übergewicht: Wenn der Körper einen Schutzmantel trägt (Dieser Artikel)
- Teil 8: Hochsensibilität in verschiedenen Lebensphasen: Ernährung die sich anpasst
- Teil 9: Hochsensibilität & Brainfood: Starke Nerven und geistige Klarheit aus der Küche
- Teil 10: Nahrungsergänzungsmittel für Hochsensible: Zwischen sinnvoller Unterstützung und gefährlichem Selbstbetrug








