Chronisch erschöpft? Was ME/CFS mit Neurodivergenz zu tun hat

Chronisch erschöpft? Was ME/CFS mit Neurodivergenz zu tun hat
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Viele neurodivergente Menschen – hochsensible, hochsensitive, hochbegabte, vielbegabte, synästhetisch veranlagte oder mit ADHS und Autismus diagnostizierte – erleben eine tiefe chronische Erschöpfung, die medizinisch oft nicht eindeutig eingeordnet wird. Wenn diese Erschöpfung über Wochen, Monate oder Jahre anhält, von massiver Reizempfindlichkeit, kognitiven Einbrüchen (brain fog) und nicht erholsamem Schlaf begleitet wird, könnte das auf ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom) hinweisen. Obwohl diese Erkrankung als selten gilt, häufen sich die Berichte aus der HOCHiX-Community. In diesem Beitrag zeigen wir dir, welche wissenschaftlich belegten Zusammenhänge es zwischen ME/CFS und Hochsensibilität, Hochbegabung, ADHS, Autismus, Vielbegabung, Synästhesie und Neurodivergenz gibt – und warum diese Erkenntnisse für Coaches und Betroffene gleichermaßen relevant sind.

Was ist ME/CFS? Myalgische Enzephalomyelitis und das chronische Erschöpfungssyndrom

ME/CFS steht für Myalgische Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue-Syndrom. Es handelt sich um eine schwere, chronische Multisystemerkrankung, die oft nach einer Infektion auftritt, aber auch andere Auslöser haben kann. Symptome sind u.a.:

  • extreme körperliche und geistige Erschöpfung,
  • post-exertionelle Malaise (Verschlechterung nach Anstrengung),
  • nicht erholsamer Schlaf,
  • kognitive Einschränkungen („brain fog“),
  • sensorische Überempfindlichkeiten (z.B. gegenüber Licht, Geräuschen oder Berührungen).

ME/CFS ist keine psychische Erkrankung – sondern eine komplexe körperliche Erkrankung mit neuroimmunologischer Basis. 

Gibt es einen Zusammenhang zwischen ME/CFS und Neurodivergenz?

  1. ME/CFS bei Menschen mit Autismus und ADHS

Eine Langzeitstudie der University of Bristol mit über 8.000 Kindern (ALSPAC-Kohorte) zeigte, dass Kinder mit ADHS- oder Autismusmerkmalen ein signifikant höheres Risiko hatten, im Jugendalter chronische Fatigue zu entwickeln. Ein erhöhter Interleukin-6-Wert im Kindesalter war ein zusätzlicher Risikofaktor.

Studie: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/39038862/

  1. Reizempfindlichkeit und sensorische Überlastung bei ME/CFS

Licht- und Geräuschempfindlichkeit sind bei ME/CFS-Patienten besonders ausgeprägt. Eine Studie aus dem Jahr 2024 zeigte, dass über 50 % der Betroffenen unter massiver Reizempfindlichkeit litten – deutlich häufiger als etwa bei Multipler Sklerose.

Studie: https://www.meresearch.org.uk/noise-and-light-hypersensitivity-in-me-cfs/

  1. Überschneidungen von Autismus-Spektrum-Störung und ME/CFS

Eine aktuelle Studie untersuchte autistische Menschen hinsichtlich ME/CFS-Kriterien – und fand eine auffallend hohe Übereinstimmung. Viele Teilnehmer erfüllten klinische Kriterien für ME/CFS, ohne dies zu wissen. Die Forscher vermuten gemeinsame biologische Mechanismen, insbesondere im autonomen Nervensystem und in der Entzündungsregulation.

Preprint (2023): https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2023.06.08.23291154v1.full

  1. Kognitive Symptome bei ME/CFS: Brain Fog und mentale Erschöpfung

Eine 2024 veröffentlichte Studie zeigte, dass viele ME/CFS-Patienten kognitive Beeinträchtigungen wie Konzentrationsprobleme, langsame Informationsverarbeitung oder Wortfindungsstörungen erlebten – auch unabhängig von ihrer körperlichen Fatigue.

Studie: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/40002638/

Warum Coaches über ME/CFS und Neurodivergenz Bescheid wissen sollten

Wenn du mit hochsensiblen, hochbegabten oder neurodivergenten Menschen arbeitest, solltest du hellhörig werden, wenn jemand über folgende Symptome klagt:

  • extreme Erschöpfung ohne erkennbare Ursache
  • starke Reizempfindlichkeit
  • ungewöhnliche vegetative Reaktionen
  • kaum regenerierender Schlaf trotz Ruhe
  • starke kognitive Einbrüche („Ich kann nicht mehr denken“)

Nicht jede Erschöpfung ist „Burnout“. Gerade bei HOCHiX Menschen mit sensibler Reizverarbeitung und starker innerer Aktivität kann ein völlig anderes Krankheitsbild vorliegen – das ernst genommen werden muss.

Als Coach ist es nicht deine Aufgabe zu diagnostizieren – wohl aber, aufmerksam zu begleiten und Impulse zu setzen. Wenn du den Verdacht auf ME/CFS hast, ist ein Hinweis zur medizinischen Abklärung bei einem spezialisierten Zentrum sinnvoll.

ME/CFS bei neurodivergenten Menschen – ein übersehener Zusammenhang

Die Forschung steht bei ME/CFS noch am Anfang – aber sie zeigt bereits jetzt: Es gibt klare Zusammenhänge zwischen neurodivergenten Persönlichkeitsmerkmalen und der Anfälligkeit für chronische Erschöpfung. Das betrifft viele HOCHiX Menschen.

Ein bewusster Blick auf diese Wechselwirkungen kann helfen, unnötiges Leid zu verhindern – durch Verständnis, Prävention und rechtzeitige Unterstützung.

Aus Erfahrung gesprochen: Warum biografisches Wissen so entscheidend ist

In über zwanzig Jahren intensiver Arbeit mit HOCHiX Menschen habe ich mehrfach erlebt, wie lange es dauert, bis eine ME/CFS-Diagnose überhaupt in Erwägung gezogen wird – oft vergehen Jahre, manchmal Jahrzehnte. Das Tragische daran: Viele dieser Menschen hatten zuvor eine Virusinfektion. Dennoch kommt kaum ein Arzt auf den Zusammenhang.

Besonders häufig finden sich Hinweise auf das Pfeiffersche Drüsenfieber oder eine Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus. Und genau hier wird es spannend für alle, die therapeutisch oder begleitend arbeiten – denn die Krankheitsgeschichte beginnt oft lange vor dem Zusammenbruch.

Biografiearbeit im Zusammenhang mit körperlichen Krisen ist ein sensibler, aber immens wichtiger Schlüssel. Allerdings braucht es dafür nicht nur Empathie, sondern auch ein solides Verständnis für medizinische Zusammenhänge. Nur wer über eine entsprechende Ausbildung verfügt – wie ich, als frühere Heilpraktikerin – kann hier verantwortungsvoll mitwirken. Für Coaches ohne medizinisches Hintergrundwissen gilt daher: lieber weiterverweisen als spekulieren. Aber genau hinschauen – das darfst du immer.

Ich hoffe, ich habe das Geschenk deiner Zeit verdient!

Sonnige Grüße von
Anne

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  • Die Sammlung unserer Essentials zu Neurodivergenz. In dieser Kategorie findest du unsere umfassendsten Beiträge: tiefgehende, klar strukturierte Grundlagenartikel zu Hochsensibilität, Hochbegabung, ADHS, Vielbegabung, Autismus, Hochbewusstsein und mehr. Jeder dieser Texte ist so etwas wie ein kleines Buch – geschrieben für Menschen, die sich selbst wirklich verstehen wollen, anstatt nur Symptome zu googeln. Für Coaches sind sie Pflichtlektüre, für HOCHiX-Menschen eine Schatztruhe voller Aha-Momente. Kein Blabla. Sondern das, was dir sonst niemand erklärt.
 

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