Autismus bei Frauen: Eine unsichtbare Realität

Autismus bei Frauen: Eine unsichtbare Realität
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Autismus bei Frauen bleibt oft unerkannt – und das aus gutem Grund. Die Anzeichen sind bei Frauen oft subtiler und leichter zu übersehen als bei Männern, und viele von uns schaffen es, sich durch Maskierung so gut anzupassen, dass wir selbst kaum merken, wie viel Energie uns das kostet. In diesem Artikel möchte ich dich mitnehmen auf eine Reise in das faszinierende und herausfordernde Thema „Autismus bei Frauen“ – und warum so viele von uns erst spät darauf kommen, dass sie betroffen sein könnten.

Warum Autismus bei Frauen anders aussieht

Frauen im Autismus-Spektrum haben gelernt, sich zu tarnen. Die Fähigkeit, soziale Verhaltensweisen zu imitieren und zu maskieren, ist bei Frauen oft so gut ausgeprägt, dass sie den klassischen diagnostischen Kriterien entgehen. 

Sie können Small Talk führen, oberflächliche Freundschaften pflegen und scheinen gut in sozialen Kontexten zurechtzukommen. Doch hinter dieser Fassade verbirgt sich oft eine Welt voller Unsicherheiten und Erschöpfung.

Diese Maskierung hat auch eine Kehrseite: Viele Frauen wissen jahrzehntelang nicht, dass sie autistisch sind. Stattdessen halten sie sich für hochsensibel oder verwechseln ihre Symptome mit den Merkmalen von Hochbegabung. 

Die Schnittmengen sind groß, und genau hier liegt die Gefahr. Hochsensible Frauen könnten sich fälschlicherweise für „nur“ hochsensibel halten, obwohl sie tatsächlich autistisch sind. Das führt dazu, dass sie die therapeutische Hilfe, die sie möglicherweise bräuchten, nicht erhalten.

Meine persönliche Geschichte

Auch bei mir hat es sehr lange gedauert, bis ich überhaupt auf die Idee kam, dass ich betroffen sein könnte. Ich hatte keinen Leidensdruck – und genau das war ein großes Hindernis. Viele von uns verbinden Autismus mit einer klaren Form von Beeinträchtigung oder großem sozialen Leidensdruck, doch das ist nicht immer der Fall. 

Ich habe relativ früh begonnen, mein Leben nach meinen eigenen Regeln zu gestalten. Anpassung und Überanpassung waren für mich keine zentrale Herausforderung, weil ich es von klein auf anders gelernt hatte.

Der familiäre Aspekt

Ein entscheidender Grund, warum ich mich lange nicht als autistisch wahrgenommen habe, war mein familiäres Umfeld. Mein Vater ist Asperger-Autist, und in meiner Familie wurden autistische Verhaltensweisen als „normal“ angesehen. 

Meine Eltern haben mich nie gezwungen, mich anzupassen oder in eine Rolle zu schlüpfen, die mir nicht entsprach. Das hat mir erlaubt, meine Eigenheiten zu akzeptieren, ohne sie zu hinterfragen. Genau genommen war Autismus meine Normalität, und erst viel später habe ich verstanden, dass das, was für mich normal war, eigentlich Teil des Autismus-Spektrums ist.

Die Verbindung zwischen meinem Vater und den autistischen Zügen in unserer Familie liegt also auf der Hand.

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) zeigen eine deutliche familiäre Häufung, was auf eine starke genetische Komponente hinweist. Studien haben gezeigt, dass Geschwister von Kindern mit ASS ein erhöhtes Risiko haben, ebenfalls eine ASS zu entwickeln. Eine Untersuchung ergab, dass Geschwister eines autistischen Kindes eine 10- bis 20-fach höhere Wahrscheinlichkeit haben, ebenfalls eine ASS zu entwickeln.

 

Diese Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung genetischer Faktoren bei der Entstehung von Autismus und erklären, warum in einigen Familien mehrere Mitglieder betroffen sein können.

Die große Überschneidung: Hochsensibilität, Hochbegabung und Autismus

Es ist tatsächlich verblüffend, wie sehr sich die Merkmale von Autismus, Hochsensibilität und Hochbegabung überlappen. Sensible Reaktionen auf Reize, die Neigung zu intensiven Interessen und ein starker Hang zu Perfektionismus können alle drei Gruppen betreffen. Doch es gibt entscheidende Unterschiede:

  • Soziale Herausforderungen: Frauen mit Autismus empfinden soziale Situationen oft als anstrengend oder verwirrend. Hochsensible Frauen hingegen verstehen die sozialen Regeln meist intuitiver, auch wenn sie sich schnell überfordert fühlen.
 
  • Maskierung und Anpassung: Autistische Frauen neigen dazu, sich bewusst soziale Verhaltensweisen anzueignen, um sich anzupassen. Das ist bei Hochbegabten und Hochsensiblen zwar auch der Fall, doch bei Autistinnen ist die Maskierung oft tiefergehend und kostet mehr Energie.
 
  • Sensorische Überempfindlichkeit: Hochsensible Menschen reagieren intensiv auf Reize, aber Frauen im Autismus-Spektrum erleben oft eine sensorische Überwältigung, die sich schwerer regulieren lässt.
 

Es gibt keine einfache Formel, die diese Unterschiede klar aufzeigt. Deshalb ist es umso wichtiger, sich mit dem Thema Autismus auseinanderzusetzen, wenn man das Gefühl hat, dass die bisherigen Erklärungen nicht alles abdecken.

Warum eine Diagnose dennoch Sinn machen kann

Viele Frauen fragen sich, ob es überhaupt sinnvoll ist, eine Autismus-Diagnose anzustreben – besonders dann, wenn sie keinen offensichtlichen Leidensdruck haben. 

Eine Diagnose kann jedoch helfen, sich selbst besser zu verstehen und zu akzeptieren. Sie erklärt nicht nur, warum man auf bestimmte Dinge so reagiert, wie man es tut, sondern kann auch helfen, gezielte Unterstützung zu finden, wenn man sie doch einmal braucht.

Für mich war es eine Reise der Selbsterkenntnis, die viele Puzzlestücke meines Lebens neu zusammengefügt hat. Ich habe gelernt, dass ich mich nicht dafür schämen muss, meine eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen – selbst dann, wenn ich jahrelang dachte, dass ich „nur“ hochsensibel oder hochbegabt bin.

Was tun, wenn du dich angesprochen fühlst?

Falls du dich in vielem wiedererkennst, was ich hier beschrieben habe, könnte es sich lohnen, weiter in das Thema einzutauchen. Es gibt mittlerweile Online-Autismus-Tests, die dir eine erste Orientierung geben können. 

Ich nutze mit meinen Klienten gerne den Test der Universität Cambridge von Prof. Simon Baron-Cohen. Du kannst ihn leicht selbst durchführen: Zum Download.

Natürlich sind diese Tests kein Ersatz für eine professionelle Diagnose, aber sie können ein hilfreicher Startpunkt sein.

Es gibt auch die Möglichkeit, eine umfassende Testung bei spezialisierten Psychologen online durchzuführen. Das ist besonders wichtig für Frauen, da viele Diagnostiker erst in den letzten Jahren begonnen haben, sich mit den weiblichen Ausprägungen des Autismus-Spektrums zu beschäftigen. 

Ich möchte dich ermutigen, deine eigene Wahrheit zu finden. 

Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Art, autistisch zu sein, und es gibt auch keinen Zwang, sich diagnostizieren zu lassen, wenn du dich mit deinem Leben gut arrangiert hast. Aber wenn du das Gefühl hast, dass eine Autismus-Diagnose dir mehr Klarheit bringen könnte, dann scheue dich nicht, diesen Weg zu gehen.

Denn letztendlich geht es darum, dein Leben so zu gestalten, dass es sich für dich richtig anfühlt – egal, welche Diagnose oder Etikette darauf steht.

Ich hoffe, ich habe das Geschenk deiner Zeit verdient, 
herzlichst Anne

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