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Karma: Das Gesetz von Ursache und Wirkung – Teil 2
Harald Heintze
Man sagt, dass es keine Ursache gibt, der nicht eine Wirkung folgt und das es keine Wirkung gibt, die keine Ursache hat.
Handlung und Folge
Der Karma-Grundgedanke lautet: Jede Handlung – physisch wie geistig – hat unweigerlich eine Folge. Diese Folge muss nicht unbedingt im gegenwärtigen Leben wirksam werden, sondern sie kann sich möglicherweise erst in einem zukünftigen Leben manifestieren. Gemäß der Karma-Vorstellung ist es nicht möglich zu wissen, was für uns langfristig am besten ist. Ja, Karma postuliert sogar: Alles, was geschieht, ist immer das Beste für uns. Das ruft wahrscheinlich bei so manchem Widerstand hervor, doch nehmen wir uns mal einen Moment Zeit, um uns das Karma-Prinzip anzuschauen.
Die Essenz von Karma
In seiner Essenz ist Karma das Gesetz von Ursache und Wirkung. Das Gesetz besagt, dass alles, was geschieht, eine Ursache haben muss, und dass wiederum jede Ursache eine Wirkung hat. Mit anderen Worten: Nichts geschieht ohne einen Grund und alles, was geschieht, zieht auch eine Wirkung nach sich. Ein einfaches Beispiel: Wir lassen eine Tasse fallen und sie zerbricht. Die Wirkung ist das Zerbrechen der Tasse, die Ursache war das Fallenlassen.
Kettenreaktion im Karma
Es gibt aber auch Situationen, in denen die Wirkung nicht sofort sichtbar ist, zum Beispiel, wenn wir am Nachmittag eine Tasse Kaffee trinken und am Abend nicht einschlafen können. Es liegen ein paar Stunden zwischen Ursache und Wirkung, daher verbinden wir die zwei Aspekte nicht unbedingt miteinander. Noch weiter sind Ursache und Wirkung beim Rauchen oder ungesunder Ernährung voneinander entfernt, da kann es oft Jahrzehnte dauern, bis die krankmachende Wirkung zutage tritt. Eine karmische Reaktion erfolgt also nicht immer unmittelbar, und wenn viel Zeit zwischen Ursache und Wirkung liegt, erkennen wir meist den Zusammenhang nicht. Zudem ist das Leben sehr komplex, denn die Auswirkungen von Handlungen sind wiederum Ursache für neue Handlungen mit neuen Wirkungen usw. So baut sich eine Kettenreaktion auf, die uns oft nicht mehr erkennen lässt, aus welchem Grund Dinge geschehen.
Ein Fußballspiel und seine Folgen
Im folgenden Beispiel spiele ich mal so eine Kettenreaktion durch. Stellen wir uns vor, ein Junge spielt im Garten mit einem Fußball. Er schießt ihn gegen die Hauswand, in die Luft, gegen die Wand, in die Luft – und plötzlich gegen die Fensterscheibe: Klirrrr! Klarer Fall von Ursache und Wirkung: Ursache ist der Schuss, die Wirkung das Zerbrechen der Scheibe. Im selben Moment steht im Haus die Mutter des Jungen auf einer kleinen Leiter, um etwas von einem hohen Regal zu holen. Erschrocken vom Geräusch der zerbrechenden Scheibe fällt sie von der Leiter und verletzt sich den Fuß. Klarer Fall, oder? Ursache ist das Zerbrechen der Scheibe, als Wirkung davon fällt sie runter und verletzt sich den Fuß.
Sie fährt mit dem Taxi in die Notaufnahme eines Krankenhauses. Dort muss sie mit ihrer relativ geringen Verletzung lange warten. Dabei kommt sie mit ihrem Sitznachbarn ins Gespräch, die beiden verstehen sich sehr gut und tauschen ihre Telefonnummern aus. Ein paar Tage später ruft der Mann an und sie treffen sich auf einen Kaffee. Eine Woche später gehen sie Abendessen, einen Monat später spielt er mit dem Jungen im Garten Fußball. Er erkennt dessen Talent und sorgt dafür, dass der Junge in einem Verein spielt. Sechs Monate später zieht der Mann bei der Frau ein, ein paar Monate später heiraten sie, drei Jahre später spielt der Junge in der U-18-Nationalelf und wieder ein paar Jahre später im Nationalteam.
Was hier beschrieben ist, ist ein möglicher Verlauf von Ereignissen. Ein Ereignis ist die Ursache für das nächste, und so reihen sich abwechselnd Ursache und Wirkung auf einen Zeitfaden aneinander wie Perlen auf einer Schnur. Nach diesem Muster laufen die Dinge ständig im „normalen“ Leben ab.
Bewertungen: Karma gut oder Pech?
Das Interessante daran: Alles, was wir erleben, bewerten wir als gut oder schlecht. Wir würden das Zerschießen der Fensterscheibe als negativ bewerten („das tut man nicht, da gibt’s eine Strafe“), würden fluchen, schimpfen, uns als Opfer fühlen, wenn wir uns den Fuß verletzen, uns aufregen, beschweren etc., wenn wir in der Notaufnahme lange warten müssen. Doch genau dieses Beispiel zeigt uns auch, wohin offensichtlich „negative“ Gegebenheiten führen können: Dass nämlich der Junge ein erfolgreicher Fußballprofi wird und die Mutter glücklich verheiratet ist.
Oft versuchen wir, den Ausgang von Situationen in der Zukunft in unserer Vorstellung vorwegzunehmen, aber Tatsache ist: Wir wissen im Augenblick eines Ereignisses nicht, wohin es führt. Erschreckend ist jedoch, dass wir so tun, als wüssten wir, ob eine Situation per se gut oder schlecht ist. Wir betrachten Situationen isoliert und bewerten selbst kleinste Ereignisse als richtig oder falsch. Dabei beziehen wir uns immer auf bestimmte Werte, die wir wie eine Schablone über die aktuelle Situation legen. Diese Werte stammen meist aus unserer persönlichen Vergangenheit, aus unseren Mustern und Vorstellungen. Solche Werte können aber auch aus bestimmten Menschengruppen entstehen und ganze Länder betreffen. Deutschland vertritt dabei beispielsweise als Land andere Werte als Uganda. Daher werden Ereignisse unterschiedlich bewertet – aber bewertet werden sie.
Karma und Transformation
Wenn wir also etwas transformieren wollen, sollten wir uns bewusst sein, dass wir immer durch die speziell getönte Brille unserer individuellen Bewertung (oder Gruppen- bzw. Länderwertung) schauen. Laut Karma gibt es allerdings nichts, das tatsächlich besser wäre als etwas anderes. Alles erscheint nur aufgrund unserer persönlichen Werte-Fokussierung als besser oder schlechter.
Karma sagt aber: Sorry, wir können es nicht wissen. Eine Veränderung zum vermeintlich besseren könnte genauso gut zum vermeintlich Schlechteren führen und umgekehrt. Und so stehen wir vor einem Dilemma: Sollen wir nun etwas ändern oder nicht? Wäre es vielleicht eine Lösung, alles zu akzeptieren? Sind wir dann nicht zur Passivität verurteilt und Opfer jeder Willkür?
Karma und die Opferrolle
Die gute Nachricht lautet: Wir sind keine Opfer, sondern können wählen und unsere Zukunft kreieren. Das hört sich erst mal gut an. Doch die schlechte Nachricht lautet genauso wie die gute, nämlich dass wir keine Opfer von Karma sind und wählen und unsere Zukunft kreieren können. Wir empfinden diese Botschaft deshalb meist als schlecht, weil sie uns in eine Haltung der Verantwortung bringt. Wir können uns nicht mehr herausreden mit den Umständen, wir können die Schuld an unserem (Un)wohlergehen nicht dem Chef oder der Partnerin in die Schuhe schieben – und das hören wir meist gar nicht gerne. Ist es doch viel leichter, im Außen einen Übeltäter zu bestimmen, als unser „Schicksal“ selber in die Hand zu nehmen.
Das Leben in die Hand nehmen, Verantwortung übernehmen
Spätestens dann, wir unser Leben bewusst in die Hand nehmen und beginnen, Verantwortung dafür zu tragen, drängt uns unser innerstes Bedürfnis nach Entwicklung zum möglichst „richtigen“ Handeln. So gestalten wir nach bestem Wissen und Gewissen. Wir können zwar nie sicher sein, dass wir dadurch dorthin kommen, wo wir hin wollen, doch wir können uns gleichzeitig dabei innerlich zurücklehnen, denn das Karma-Prinzip sorgt ja dafür, dass wir am Ende doch dort ankommen. Wie es in der Bhagavad Gita (Kapitel 6, Vers 3) so schön heißt: Für den Weisen, der nach dem Höchsten strebt, gilt Handeln als der Weg. Für denselben Weisen, der das Höchste erreicht hat, gilt Nichthandeln als Weg.
Das Bemühen um richtiges Handeln
Der Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ veranschaulicht im Zeitraffer auf sehr klare Weise das Funktionieren von Karma: Ständiges Bemühen um richtiges Handeln, Lernen über Versuch und Irrtum, dabei Transformation von nicht zielführenden Verhaltensweisen und schließlich das „happy end“, indem die tiefste Sehnsucht Erfüllung findet.
Das klingt banal, aber genauso läuft das Prinzip Karma ab. Das Geniale daran ist, dass es unvermeidbar zum letztendlichen Ziel führt. Dieses letztendliche Ziel ist bei allen Menschen dasselbe: Die höchste Selbstverwirklichung, Moksha, Eingehen in das Göttliche, Eins-Sein oder wie immer wir es auch nennen wollen. Da sich jeder auf seiner Lebensreise an einem anderen Punkt befindet, wird dies von dem Einzelnen meist nicht als das letztendliche Ziel gesehen, dennoch ist es aus karmischer Sicht seit Anbeginn der Zeit das unvermeidbare Ziel jeglichen menschlichen Strebens.
Das Ziel eines jeden: Selbstverwirklichung
Jeder bewegt sich jederzeit darauf zu, ob er will oder nicht, ob er es erkennt oder nicht und egal, wie lange es dauert. Ein derartiges Verständnis von Karma beschert uns eine eher distanzierte Haltung der Gelassenheit, denn langfristig gelangen wir alle irgendwann an das Ziel unserer tiefsten Sehnsucht – Umwege und Sackgassen gehören einfach dazu.
Karma, Schicksal oder einfach Pech? (Teil 1)
Karma über die Zeiten hinweg (Teil 3)
Alles Liebe
Harald