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Autoren
Anne Heintze
Harald Heintze
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Warum Hochsensible sich vor selektiver Wahrnehmung hüten müssen
Sicher kennst du das Kinderspiel „Ich sehe was, was du nicht siehst“. Es basiert auf einem einfachen Prinzip: Nicht jeder nimmt seine Umgebung gleich wahr. Das ist selektive Wahrnehmung. Sie ist der Grund dafür, dass Missverständnisse entstehen, aber auch dafür, dass wir unter den Millionen von Sinnesreizen nicht zusammenbrechen. Und sie ist eine Notwendigkeit.
Was ist selektive Wahrnehmung?
Jede Sekunde ist ungefähr ein Viertel deines Gehirns damit beschäftigt, die Umwelt wahrzunehmen und die Eindrücke durch verschiedene Filter laufen zu lassen. Wie du das Gesehene und Gehörte interpretierst, hängt davon ab, wie das Gehirn die Daten verarbeitet. Dabei werden die einzelnen Reize für wichtig oder unwichtig erklärt. Somit ist die selektive Wahrnehmung eine große Stärke.
Das Gehirn sucht dabei immer nach bekannten Mustern. Sie sind einfacher und schneller einzuordnen, indem sie mit bereits bekannten Informationen verbunden werden. Diese vergleichsweise Blindheit gegenüber anderen Daten ist ein Schutzmechanismus. Denn wenn du Wichtiges nicht von Überflüssigem trennen könntest, würdest du wohl unter den Reizen zusammenbrechen und verrückt werden.
Am leichtesten nimmst du dabei Muster wahr, deren Komplexität höher als akkurate Symmetrie und niedriger als Strukturlosigkeit ist. Das immer gleiche Ticken einer Uhr wird also genauso wenig gehört wie das unregelmäßige Rauschen einer Waschmaschine, sofern es dich nicht stört oder anderweitig belästigt. Denn diese beiden Muster ordnet dein Gehirn als überflüssig ein.
Durch welche Filter laufen meine Eindrücke?
Die ersten Filter in deinem Gehirn entstehen durch deine Erziehung und die Erfahrungen, die du mit anderen Menschen machst. Was du in der Schule und von deiner Familie gelernt hast, prägt deine Wertvorstellungen und dein Verhalten und somit auch alle deine Überzeugungen oder Vorurteile.
Deine Erwartungen sind mindestens genau so wichtig für deine Wahrnehmung. Sie ähneln dabei einer Schablone. Wenn du für ein Restaurant zum Beispiel nur gute Bewertungen gelesen hast, wirst du das Essen und den Service wohl besser finden als wenn dir vorher jemand erzählt hat, dass es ein schlechtes Etablissement ist. Im Allgemeinen wirst du Argumente, die deine eigene vorgefertigte Meinung unterstützen, immer eher wahrnehmen als andere.
Zuletzt geht es beim Filtern auch um deine eigenen Gefühle und den Kontext der Situation. Wenn dein Freund etwas zu dir sagt, wirst du es eher positiv verstehen als wenn dein Feind den selben Satz sagt. Gleichzeitig hast du weniger Angst, wenn du deiner Familie von etwas erzählst, als wenn du die selbe Geschichte vor einem Publikum von Fremden oder Kollegen vorträgst.
Warum die Selektion sogar gut für Menschen ist
Doch diese Filter sind unglaublich wichtig. Denn die Flut an Daten, die jeden Tag auf dich einströmt, ist riesig. Millionen an Reizen wollen deine Aufmerksamkeit, doch dein Gehirn hat keine unendliche Kapazität. Stattdessen muss es sich entscheiden, was wichtig ist und was nicht. So sind die Filter in deinem Gehirn von Bedeutung, damit du dich nicht mit überflüssigen Informationen abgeben musst und dir stattdessen Sinnvolles merkst.
Vor allem im digitalen Zeitalter, in der die Reizüberflutung alltäglich ist und das Leben recht hektisch, kommt dir die Selektion entgegen. Sie entlasten dich und helfen dir, dich besser konzentrieren zu können. Manchmal schützen sie sogar vor Problemen: Wenn du zum Beispiel schon weißt, dass eine bestimmte Stelle an einer Straße gefährlich ist, wirst du dich dort besonders auf den Gegenverkehr fokussieren und einem Unfall entgehen.
Selektive Wahrnehmung bestätigt, was wir schon wissen
Die selektive Wahrnehmung basiert auf deiner Fähigkeit, Muster zu erkennen, beziehungsweise auf der konstanten unterbewussten Suche nach Mustern. Sie helfen deinem Gehirn, neue Informationen in dein Archiv einzuordnen. So sind sie überhaupt erst in der Lage, mit den verschiedenen Reizen umzugehen und sie zu verstehen.
Doch dabei gibt es eine große Gefahr. Durch die Einordnung in die bereits vorhandenen Informationen bestätigen dir deine neuen Erkenntnisse bloß die Urteile, die du ohnehin schon gefällt hast. Falsche Konzepte überprüfst du nicht mehr, Vorurteile werden nur gefüttert. So wird jemand, der Jugendliche als faul und unhöflich betrachtet, vollkommen ignorieren, wenn ein Teenager einer alten Frau seinen Sitzplatz überlässt.
Das ist das größte Problem mit der selektiven Wahrnehmung: Wir konzentrieren uns nur auf das, was wir sehen und hören wollen. Neue Erfahrungen, die gebildeten Urteilen widersprechen, interpretierst du einfach um, bis sie zu deiner eigenen Meinung passen. Auch wenn du Freunde und Familie um Rat fragst, machst du das Gleiche mit ihren Aussagen. Es ist also recht schwer, von dem abzulassen, was man erwartet hat.
Ein Beispiel: Der Gorilla-Effekt
Eine Studie von US-Wissenschaftlern zeigt, dass die meisten Menschen nur das sehen, was sie auch erwartet haben. In einem Video von Ballspielern sollten Versuchsteilnehmer zählen, wie oft die Spieler sich den Ball zupassen. Dabei hatten die meisten Menschen kein Problem damit, die Pässe zu zählen. Sie haben dafür aber den Gorilla ignoriert.
Denn ein als Affe verkleideter Mensch lief ganze neun Sekunden durchs Bild! Weil sich alle nur auf den Ball konzentrierten, fiel er ihnen nicht auf. In einem zweiten Video konnte natürlich jeder den Gorilla sehen, denn es war zu erwarten. Dafür ist den Probanden aber entgangen, dass sich im zweiten Video der Hintergrund verfärbte und ein Spieler einfach verschwand. Schließlich haben sie sich darauf nicht konzentriert.
Wie kann ich der selektiven Wahrnehmung entgehen?
Es gibt nur eine Chance, die selektive Wahrnehmung ein wenig abzumildern: Selbstreflexion und kritisches Hinterfragen. Wichtig ist jedoch zu wissen, dass das regelmäßige Infragestellen deiner Wahrnehmung ein nettes Experiment ist, in der Realität aber selten gut ankommt. Wenn du dich ständig fragst, ob das von dir Gesehene und Gehörte auch die Wahrheit ist, wirst du dich verkopfen und vielleicht sogar Dinge problematisieren, die gar nicht kompliziert sind.
Stattdessen ist schon das Wissen um den Fakt, dass du immer subjektiv statt objektiv bist, eine große Hilfe für dich und du kannst deine Hochsensibilität viel besser annehmen. Du hast den ersten Schritt gemacht, indem du diesen Artikel gelesen hast. Jetzt kannst du dich für eine erweiterte Wahrnehmung öffnen.
Beobachte dein eigenes Verhalten und frage dich, welches persönliche Muster du gerade anwendest. So wirst du dir deiner Filter bewusst und begreifst, woher sie kommen. Betrachte Statistiken und rationale Fakten und frage deine Mitmenschen, was sie sehen. Du kannst so nicht nur die anderen besser verstehen, sondern vor allem dich selbst.
Herzlichst
Anne