Hochbegabt gescheitert – die Resignation des Kindes, und was ich als Mutter daraus lernte

Hochbegabt gescheitert
Teilen oder merken

Hochbegabt gescheitert – die Resignation des Kindes, und was ich als Mutter daraus lernte

Wenn dein Kind die Schule verweigert, obwohl es „so clever“ ist und sogar der Schulabschluss in Gefahr ist, dann macht das was mit dir als Mutter. Natürlich auch als Vater, aber ich schreibe hier aus meiner persönlichen Sicht. Dass darin auch eine große Chance stecken kann, erkennen wir erst hinterher. Von meinen Erfahrungen möchte ich berichten und dir Mut machen, solltest du in einer ähnlichen Situation sein.

Eines Morgens war es so weit. Unser Sohn war 15 Jahre und eröffnete uns am ersten Schultag nach den Sommerferien, dass er ja in die Schule wolle, aber nicht könne. Er befand sich in einer Art Schockstarre, die sich gleichermaßen wie ein dunkler Schleier über unser Familienleben legte. Denn die Schulverweigerung sollte von diesem Tag an ganze 2 Jahre dauern.

Du bist doch so clever – warum kannst du nicht?

Unser älterer Sohn, der heute 20 Jahre alt ist, war ein sehr lebendiges Kind. Schon immer war uns klar, dass er clever ist, und wir freuten uns darüber. An Hochbegabung dachte jedoch niemand. Als er in die Schule kam, fiel er immer mehr durch lautstarke Verhaltensauffälligkeiten und geistige Abwesenheit im Unterricht auf. Eine ADHS-Diagnostik folgte und bestätigte sich. Nebenbei wurde eine überdurchschnittliche Begabung festgestellt. Hochbegabung sollte für lange Zeit kein Thema sein. Der Fokus lag vielmehr darauf, wie wir das Kind unterstützen können, damit es fokussiert dem Unterricht folgen kann und weniger stört.

So vergingen die nächsten Jahre. Der Schulwechsel in die weiterführende Schule erfolgte, und die Fehltage wurden immer zahlreicher. Ich recherchierte sehr viel, las Bücher und suchte nach Lösungen, um mein Kind darin zu unterstützen. Nach einer weiteren ADHS-Diagnostik folgte in der Mittelstufe eine Autismus-Spektrum-Störung-Diagnostik, die sich jedoch nicht bestätigte. Interessanterweise fielen die IQ-Tests bei den verschiedenen Diagnostiken mal niedrig und mal überdurchschnittlich aus. Warum das so war, hinterfragten wir zu diesem Zeitpunkt nicht. Schließlich ging es immer um die Bewältigung der Defizite.

Die Schulverweigerung traf uns wie ein Schlag

Sehr oft fand ich mich in dieser Zeit im Badezimmer wieder, schloss mich ein und heulte, bis ich nicht mehr konnte. Ich war verzweifelt, denn ich wusste um das große Potenzial unseres Sohnes. Es frustrierte mich, dass er seine PS einfach nicht auf die Straße bringen konnte. Im Gegenteil, er schien immer mehr in der Schule zu resignieren und es war ihm egal.

Bis zu dem besagten Morgen, als er die 9. Klasse wiederholen sollte und einfach aufgab. Für uns begann eine dunkle Zeit, denn ich hatte keinen Plan mehr. Ich wusste nicht, welche weiteren Maßnahmen wir ergreifen konnten oder wonach ich suchen sollte. Es fühlte sich für mich an, als befände ich mich in einer stockdunklen und ausweglosen Sackgasse.

Underachievement – die Resignation des Genies

Dann erhielt ich einen Tipp, der alles verändern sollte. Unser Förderschullehrer empfahl uns eine Psychologin. Ich informierte mich auf ihrer Website und ich hörte das erste Mal vom Begriff „Underachievement“. Das bedeutet, dass diese Kinder nicht fähig sind, Leistungen gemäß ihrem Potenzial zu zeigen. Dies wird dann oft mit Minderleistung übersetzt. Doch oft tritt dieses Phänomen ausschließlich in der Schule auf. Können Hochbegabte ihren Neigungen und Interessen frei nachgehen, können sie durchaus zu Hochleistern werden.

Dieses Thema öffnete regelrecht neue Türen für uns. Wir fanden einen Coach und unser Sohn machte das erste Mal mit 16 Jahren eine Begabungsdiagnostik. Das Ergebnis fiel für uns überraschend aus, denn Werte im Bereich der Hochbegabung (in einem Bereich sogar nahe der Höchstbegabung) hatten wir nach den vorangegangenen IQ-Tests nicht mehr erwartet. Doch auch wenn uns nun andere Optionen offenstanden, hatte unser Sohn mittlerweile große Aversionen gegen den Schulbesuch entwickelt. Also mussten wir nach alternativen Lösungen suchen.

Der Besuch einer Förderschule für Hochbegabte war unsere Rettung

Dazu nahmen wir Kontakt zu vielen Institutionen auf: Schulamt, Schule, Jugendamt, Psychologe und Coach. Nach großen Anstrengungen, vielen Anträgen und Ablehnungen durfte unser Sohn schließlich nach dem dritten Anlauf des Genehmigungsprozesses vom Jugendamt eine Förderschule für Hochbegabte besuchen. Diese Schule ist spezialisiert auf twice exceptional students (Hochbegabung plus psychische Störung) und war daher perfekt für unseren Sohn geeignet.

Nach einem Jahr in dieser Schule und in einer Wohngruppe, in der ebenfalls Schüler dieser Schule untergebracht waren, machte unser Sohn seinen Realschulabschluss. Mit einer guten Note in der Tasche absolvierte er ein Praktikum in einem Handwerksbetrieb. Heute ist er ein glücklicher Auszubildender, der seine PS wieder auf die Straße bringt.

Was ich aus der Schulverweigerung meines Sohnes lernte

Unsere Geschichte habe ich bereits in einigen Interviews erzählen dürfen. Oft werde ich gefragt: „Susanne, was hat diese Zeit mit dir gemacht?“ Meine Antwort: „Ich habe viel gelernt.“ Neben den fachlichen Hintergründen durfte ich mich persönlich weiterentwickeln. Ich erkannte viele eigene Glaubenssätze im Verhalten meines Sohnes wieder und schaute näher hin.

Man sagt ja, die wichtigsten 5 Menschen, mit denen du dich umgibst, haben Auswirkungen auf dein Denken und Verhalten. So wurde mir in dieser anstrengenden Zeit durch das Verhalten meines Sohnes bzw. unserer Söhne immer wieder der Spiegel vorgehalten. Ich erkannte meine eigenen Denkmuster und Verhaltensweisen, lernte diese zu reflektieren und sie neu auszurichten. Wir sagen auch „Mindset-Arbeit“ dazu.

Manchmal wiederholen sich Geschichten in der Familie

Unser jüngerer Sohn hatte ebenfalls Phasen der Schulverweigerung. Er musste in der 8. Klasse Mobbingerfahrungen machen und verweigerte den Schulbesuch. Auch hier lernte ich einiges über mich selbst, denn unsere Geschichten ähneln sich frappierend. Ich wurde ebenfalls in der 8. Klasse gemobbt und wiederholte deswegen das Schuljahr. Dank der Geschichte unseres Sohnes wurde ich mit der Nase auf meine eigenen Erfahrungen gestoßen und schaffte es, sie für mich (und vielleicht auch ein Stück für ihn) aufzuarbeiten. Das empfand ich als äußerst wertvoll und bin sehr dankbar dafür.

Insgesamt hilft mir meine optimistische Einstellung dabei, immer wieder Mut zu schöpfen. Denn nach jedem Regen scheint auch wieder die Sonne. Ich lernte in diesen herausfordernden Jahren, dass es immer eine Lösung gibt – wenn man dranbleibt. Dieser Gedanke stärkt mich bis heute in meinem Handeln.

Ein Austausch auf Augenhöhe ist wichtig

Letztendlich geht es darum, den Kindern beizustehen, sie ernst zu nehmen und sie zu unterstützen. Unser Coach sagte einmal zu mir: „Wenn du dein Kind liebst, kannst du nichts falsch machen.“ Daran habe ich mich immer gehalten und mich für sie eingesetzt. Ein gemeinsames und harmonisches Miteinander und ein Austausch auf Augenhöhe mit Lehrkräften und den Mitarbeiter der Institutionen waren mir dabei immer wichtig. Nur so gelingt es aus meiner Sicht, zu einem guten Ergebnis zu kommen, welches im Sinne des Kindes ist. Nur du allein kennst dein Kind in allen Facetten und kannst es erklären. Das ist so wichtig, öffnet neue Türen und bringt dich und dein Kind weiter.

Als die Aussicht auf einen Schulabschluss unseres älteren Sohnes mit dem Besuch der Förderschule wahr wurde, entspannte ich mich endlich. Das war der Moment, in dem ich dank eines inneren Impulses zu schreiben begann. Der erste Satz war auf fast magische Weise plötzlich da. Daraus wurden über 320 Seiten und drei Jahre später durfte ich mein „Therapie“-Buch „Hochbegabt gescheitert – und neue Türen öffnen sich“ in den Händen halten.

Hochbegabt gescheitertWie mein Buch zu meinem eigenen Gamechanger wurde

Während der Literaturrecherchen zu meinem Buch stieß ich auf eine Geschichte einer Mutter, die ebenfalls zwei hochbegabte Söhne hatte. Ihre Geschichte zu lesen war ein Gamechanger für mich, denn ich erkannte mich in ihr wieder. Also fasste ich den Mut, mich ebenfalls einer Begabungsdiagnostik zu unterziehen. Bisher schob ich die Ursache, dass unsere Kinder hochbegabt sind, auf meinen Mann. Mein eigenes Testergebnis belehrte mich eines Besseren. Auch dies habe ich in meinem Buch festgehalten, denn gerade wir Mütter tendieren dazu, unser eigenes Licht unter den Scheffel zu stellen.

Heute bin ich glücklich über all diese Erlebnisse und Erfahrungen, die ich machen durfte. Mit unserer Geschichte darf ich anderen Familien helfen und Denkweisen in der Gesellschaft über Hochbegabung ändern. Denn es wird höchste Zeit, dass auch unsere hochbegabten und hochsensiblen Kinder ihren Platz im Schulsystem im Rahmen einer allseits gerechten Bildung bekommen.

Herzlichst,

Susanne

Unsere ganze Geschichte mit vielen fachlichen Hintergrundinformationen liest du in meinem Buch „Hochbegabt gescheitert – und neue Türen öffnen sich“ – bestellbar bei Amazon und im Buchhandel (ISBN: 978-3-9826201-6-9) Weitere Infos zur Autorin und ihren Veröffentlichungen: www.susanneburzel.de

Gastautorin: Susanne Burzel

Susanne Burzel klein

Susanne Burzel ist 1970 in Mittelhessen geboren und lebt mit ihrer Familie in der Nähe von Frankfurt. Sie liebt die Vielfalt, was sich in ihrem Lebensweg spiegelt: Sie studierte Grundschullehramt, war Inhaberin einer Diskothek, absolvierte eine Ausbildung zur Werbekauffrau, studierte BWL und führt seit 2011 ihre eigene Werbeagentur. In ihren Büchern widmet sie sich verschiedenen Themen, die sie gerade beschäftigen. Darunter Marketingthemen, Einschlaf- und Entspannungsgeschichten für Kinder und ein Buch über Hochbegabung und das deutsche Schulsystem.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Mehr zum Thema

Bleib auf dem Laufenden:

Aber Vorsicht, unsere E-Mails können dein Herz öffnen, deinen Verstand wachrütteln und dein Leben verändern.

Du erhältst etwa wöchentlich unsere Tipps für mehr Lebensfreude und Selbstrealisierung. Du kannst deine Einwilligung zum Empfang der E-Mails jederzeit widerrufen. Dazu befindet sich am Ende jeder E-Mail ein Abmelde-Link. Die Angabe deines Namens ist freiwillig und wird nur zur Personalisierung der E-Mails verwendet. Deine Anmeldedaten, der E-Mail-Versand werden über ActiveCampaign verarbeitet. Mehr Informationen dazu erhältst du in unserer Datenschutzerklärung.