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Pratyahara gegen Reizüberflutung: Das Zurückziehen der Sinne
Wir können uns mehr als glücklich schätzen. Denn wir hochsensiblen Menschen verfügen über die Fähigkeit die Reizimpulse, die wir über unsere fünf körperlichen Sinne empfangen, besonders intensiv wahrzunehmen. Manchmal ist diese Wahrnehmung aber auch einfach zu viel und es kommt zur unangenehmen, Stress erzeugenden Reizüberflutung. Eine wirkungsvolle Übung um diese Reizüberflutung zu vermeiden ist Pratyahara, eine Übung, die aus dem Yoga stammt.
Wir alle haben fünf körperliche Sinne, die bei hochsensiblen Menschen besonders empfindsam reagieren:
- das Riechen
- das Sehen
- das Hören
- das Schmecken
- das Fühlen
Hoffentlich bist du auch mehr als dankbar, dass du diese intensiven Sinneswahrnehmungen für dich nutzen kannst. Genau diese Sinne sind es, die dein Leben in vielen Situationen erst so richtig lebenswert und lebendig machen.
Unsere Sinne arbeiten immer, manchmal aber auch zu viel
Manchmal ist es so, dass wir unsere Sinneswahrnehmungen auch als störend empfinden. Wobei „störend“ vielleicht nicht das richtige Wort ist. Es ist einfach eine Reizüberflutung, die unseren Alltag anstrengend werden lassen kann. Denn manchmal prasselt soviel auf uns ein, dass wir eigentlich einen Ausschalter für unsere Sinne suchen. Wir möchten einfach mal unsere Ruhe haben, möchte nichts sehen, nichts hören und vielleicht auch nichts fühlen. Wir möchten uns nur auf unser Inneres konzentrieren und einfach mal die Welt ausschalten.
Das Gleiche gilt für das Berühren. Kennst du Momente, in denen du nichts berührst? Irgendwie hast du immer zu irgend etwas Kontakt. Mit deinen Füßen, mit deinen Händen, mit deinem Po oder auch mit deinem Rücken. Oder du spürst deine Kleidung gang besonders deutlich auf deiner Haut.
Oder stell dir vor, es riecht sehr unangenehm. Du bist irgendwo, wo ein unangenehmer Geruch in der Luft liegt. Du kannst die Nase zuhalten und dann einfach durch den Mund atmen. Aber trotzdem spürst du diesen unangenehmen Geruch. Er geht nicht weg.
Gleiches gilt für die Alltagsgeräusche. Egal ob es Sirenen sind, ob es Stimmen sind oder einfach nur der Alltag, der seine ganz eigenen Geräusche mit sich bringt. Du kannst Ohrstöpsel tragen. Aber irgendwie hörst du doch immer etwas. Und wenn es durch die Ohrstöpsel nur dein eigener Puls ist, der dir in den Ohren dröhnt.
Was also tun, wenn es dir gar nicht so richtig gelingen will, deine Sinne einmal auszuschalten und dich von deinen Sinneswahrnehmungen zurückzuziehen? Wie kannst du dich wirklich einmal Loslösen von deinen alltäglichen Sinnen? Pratyahara kann dir dabei helfen.
Was ist Pratyahara?
Pratyahara ist der fünfte Schritt auf dem Yogapfad, der achtgliedrig ist. Es ist der sogenannte Rückzug der Sinne. Manchmal wird er auch der vergessene Pfad des Yoga genannt und nur wenige Yogalehrer können Pratyahara wirklich gut erklären.
Der Begriff Pratyahara besteht aus zwei Sanskritwörtern, nämlich prati und ahara. Ahara bedeutet „Nahrung“ oder „etwas, was wir uns von außen zuführen“. Prati ist eine Präposition, die „gegen“ oder „weg“ bedeutet. Pratyahara bedeutet wörtlich „Beherrschung des Ahara“ oder „Meisterung äußerer Einflüsse“. Man kann es mit einer Schildkröte vergleichen, die ihre Beine einzieht. Der Schild ist der Geist, die Sinne sind die Gliedmaßen. Das Wort wird meist mit „Rückzug der Sinne“ übersetzt, aber das ist nicht alles.
Die Sinne zurückzunehmen und sich auf das Innere zu konzentrieren, klingt erstmal wunderbar. Denn wenn du in der Lage bist, deine Sinne nicht wie sonst mit den Objekten, die dich umgeben, zu verbinden, hast du deine innere Ruhe gefunden. Wenn es dir gelingt, deinen Geist so freizuhalten, dass du alles um dich herum nicht wahrnimmst, bist du völlig losgelöst von allen Sinnen.
In der westlichen Philosophie wird davon ausgegangen, dass Objekte zu uns kommen, wir also die Empfänger sind. Das hält uns in einer Art Opferrolle, da wir scheinbar nicht wählen können, ob etwas zu uns kommt oder nicht.
In der östlichen Philosophie hingegen gehen wir mit unserer Aufmerksamkeit zu den Objekten hin. Das ist ein wesentlicher Unterschied, denn so sind wir selber verantwortlich, wohin wir den Focus lenken. Gerade für hochsensible Menschen kann das entscheidend sein.
Damit du deine Freiheit von deinen Sinnen erreichen kannst, musst du üben und viel Disziplin mitbringen. Denn es ist nicht so einfach, sich von allem loszulösen und ausschließlich auf sich selbst zu konzentrieren.
Pratyahara knipst deine Sinne nicht aus
Wendest du Pratyahara an, dann ist es nicht so, dass du deine Sinne auf Knopfdruck ausschalten kannst. Das wäre super einfach und würde vielen hochsensiblen Menschen helfen. Aber du solltest viel praktizieren und üben bis es leicht und schnell gelingt.
Pratyahara bedeutet, dass deine Sinne beruhigt werden. Du fährst herunter. Und du konzentrierst dich auf dein Inneres. Dein Geist ist dafür nicht mehr in permanenter Alarmbereitschaft. Dein Gehirn konzentriert sich nicht mehr auf all die Dinge, die dich umgeben. Das macht es sonst automatisch. Und das ist auch wichtig. Denn stell dir vor, du schaltest dein Gehör aus und nimmst am Straßenverkehr teil. Das funktioniert nicht. Du hättest womöglich in Windeseile einen Unfall.
Deshalb ist es wichtig, dass dein Geist und auch dein Gehirn immer aktiv sind. Mit Pratyahara versuchst du aber, genau diese Aktivität herunter zu schrauben. Du konzentrierst dich auf dich und auf dein Inneres.
Pratyahara hilft dir dabei, Ordnung in dir zu schaffen. Deine Sinne gehen dabei nicht verloren und werden auch nicht komplett ausgeschaltet. Aber sie treten für diesen Moment in den Hintergrund. So erreichst du eine ganz besondere Ruhe, die dich erfrischt, die sehr kraftvoll ist und die dich auch belebt.
Pratyahara wird beim Yoga eingesetzt, um durch den „Rückzug der Sinne“ den Einstieg in die Meditation zu unterstützen.
Abhilfe bei Reizüberflutung
Für hochsensible Menschen bietet Pratyahara einen enormen Nutzen, denn es kann als effektive Methode gegen Reizüberflutung eingesetzt werden. Nicht immer können wir uns intensiven Reizen entziehen und oft leiden wir darunter. Pratyahara bietet Abhilfe und hat eine beruhigende Wirkung auf alle unerwünschten Reize.
Doch genauso wie Meditation zuerst auf dem Sitzkissen geübt wird, bevor sie uns auch im Alltagsgeschehen gelassen bleiben lässt, ist es wichtig, auch Pratyahara zuerst in einem „wohltuenden“ Umfeld zu üben bevor du es im „Ernstfall“ anwenden kannst.
Hier die Anleitung in Kurzform:
- Nimm dir 20 Minuten Zeit und sorge für einen möglichst störungsfreien Raum
- Setze oder lege dich bequem hin, lasse die Augen noch geöffnet
- Atme ein paar Mal bewusst ein und aus
- Bringe dann deine Aufmerksamkeit zu dem, was du gerade sehen kannst.
- Bewege dabei nicht den Kopf, nimm einfach nur wahr, was gerade in deinem Blickfeld geschieht.
- Mache das ungefähr eine gefühlte Minute lang.
- Schließe dann die Augen und lausche.
- Was gibt es gerade an Geräuschen zu hören?
- Verweile auch hier ungefähr eine Minute
- Fahre so fort mit den anderen Sinnen
- Welche Gerüche gibt es gerade wahrzunehmen?
- Welcher Geschmack ist vorhanden?
- Welche Berührung findet gerade über den Tastsinn statt?
Wenn du mit allen Sinnen durch bist und sie intensiv beachtet hast, beginnt das eigentliche Pratyahara:
Kehre die Richtung deiner Aufmerksamkeit um indem du dir dieselben Fragen wie vorhin nun anders stellst:
- Nicht „was sehe ich gerade“, sondern „wer sieht gerade“?
- Nicht „was höre ich gerade“, sondern „wer hört jetzt“?
- Nicht „was rieche ich“, sondern „wer riecht gerade“?
- Nicht „was schmecke ich gerade“, sondern „wer schmeckt gerade“?
- Nicht „was spüre ich gerade“, sondern „wer spürt gerade“?
Mit dieser Art des Fragens ziehst du die Aufmerksamkeit von den Objekten ab und wendest dich der Quelle des Wahrnehmens zu. Dadurch verschiebt sich dein Focus und die “sinnlichen Phänomene“ verlieren an Bedeutung. Du wirst entspannter und ruhst in deiner Mitte.
So wünschen wir dir viel Erfolg und Freude mit deinem Rückzug zur Quelle.
Anne & Harald
3 Antworten
Danke! Als dreifach-Mama suche ich oft vergeblich nach Lautstärkereglern bei meiner Familie. Ich werde das Pratyahara ausprobieren.
Fantastisch, ganz einfach und für jeden leicht anwendbar, auch bei Kindern und auch in der
Schule.
DANKE vielmals und einen wunderschönen Advent wünscht
Birgit S.
Eine wunderbare Art den vergessrnen Pfad xu betreten.