Superstimulierbarkeit: Wenn die Sinne zur Herausforderung und zur Gabe zugleich werden

Superstimulierbarkeit: Wenn die Sinne zur Herausforderung werden
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Was passiert, wenn deine Nase für dich zu einem Detektor wird? Für Menschen mit Hochbegabung oder Hochsensibilität können einfache Reize, wie ein Parfüm, plötzlich zur Herausforderung werden. Doch was, wenn dieselben überempfindlichen Sinne dir auch eine besondere Gabe verleihen? Erfahre, wie die Superstimulierbarkeit das Leben erschwert – und gleichzeitig besondere Fähigkeiten offenbart.

In meinem Alltag habe ich oft das Gefühl, als würde ich durch ein endloses Labyrinth aus intensiven Düften wandern. Ein einfaches Parfüm, das für andere unsichtbar in der Luft liegt, kann mich fast zu Boden zwingen. Der Druck auf den Schläfen wächst, Übelkeit steigt in mir hoch, und der Raum scheint sich zu drehen. Es ist die Hyperosmie, die mir jeden Tag zeigt, wie intensiv die Welt der Gerüche sein kann.

Aber so belastend diese Empfindlichkeit auch ist, sie hat mir auch eine ungewöhnliche Gabe verliehen. Wenn jemand den Raum betritt, nehme ich nicht nur seinen Duft wahr – ich fühle ihn. Ich kann oft spüren, ob eine Person verliebt ist, ob sie krank ist oder ob sie Wut in sich trägt, allein durch ihren Geruch. Dieser „innere Kompass“ hilft mir, die Menschen in meiner Umgebung besser zu verstehen und ihre Stimmung zu erkennen, bevor sie ein Wort sagen.

Das ist Superstimulierbarkeit: eine Flut von Reizen, die überwältigend sein kann, aber auch eine außergewöhnliche Fähigkeit, die Welt auf eine tiefere Ebene wahrzunehmen. Doch diese Sensibilität bringt viele Herausforderungen mit sich, die das Leben oft zu einem Balanceakt zwischen Reizüberflutung und Rückzug machen.

Was bedeutet Superstimulierbarkeit?

Menschen mit Hochbegabung oder Hochsensibilität erleben oft extrem starke Reaktionen auf Reize, die für andere Menschen kaum bemerkbar sind. Superstimulierbarkeit beschreibt diesen Zustand, in dem die Sinne – besonders Sehen, Hören oder Riechen – auf Hochtouren arbeiten. Geräusche werden zu einem lärmenden Sturm, grelles Licht brennt sich ins Gedächtnis, und Gerüche werden zu überwältigenden Eindrücken.

Doch neben der Herausforderung, die diese Empfindlichkeit darstellt, liegt darin auch eine einzigartige Fähigkeit, die Umwelt in einer Tiefe zu erleben, die für andere unsichtbar bleibt. Ein Duft kann für mich wie ein Fenster in die Gefühlswelt eines Menschen sein – ich erkenne den Unterschied zwischen der Frische von Euphorie und der Schwere von Krankheit.

Die verborgenen sozialen Herausforderungen

So faszinierend diese Gabe auch sein mag, sie bringt auch ihre Schattenseiten mit sich. Denn in einer Gesellschaft, die selten Rücksicht auf solch feine Wahrnehmungen nimmt, fühle ich mich oft missverstanden. Der Duft eines Parfüms, den andere als angenehm empfinden, kann bei mir fast Panik auslösen. Die Intensität dieser Reizüberflutung führt oft zu einem Rückzug aus sozialen Situationen, nicht aus Mangel an Interesse, sondern schlicht aus Selbstschutz.

Stell dir vor, du sitzt in einem Café und plötzlich weht dir eine Duftwolke von nebenan ins Gesicht, die dich fast überwältigt. Du versuchst, dich zu konzentrieren, aber deine Sinne arbeiten auf Hochtouren. Die Luft scheint dicker zu werden, der Raum enger – und der einzige Ausweg scheint der schnelle Rückzug zu sein. Diese Momente führen oft zu Missverständnissen, die andere nicht nachvollziehen können. Doch für Menschen wie mich ist dies ein ständiger Begleiter.

Innovativere Strategien für den Alltag

Statt einfache Lösungen wie Ohrstöpsel oder Atemübungen vorzuschlagen, möchte ich hier auf kreative, aber auch umsetzbare Wege eingehen, wie wir Superstimulierbarkeit aktiv in unser Leben integrieren können:

  1. Geruch als Stärke nutzen
    Ja, der Duft kann überwältigen – aber er kann auch dein Vorteil sein. Lerne, deine Geruchswahrnehmung bewusst zu trainieren und gezielt einzusetzen. Es gibt Techniken aus der Parfümherstellung, bei denen du deinen Geruchssinn so schärfen kannst, dass du bestimmte Noten in der Luft isolierst. Das kann dir helfen, unangenehme Gerüche schneller zu identifizieren und zu meiden, bevor sie dich überwältigen. Gleichzeitig kannst du deinen Geruchssinn nutzen, um Emotionen und Stimmungen bei anderen Menschen zu erkennen – ein unschätzbares Tool in sozialen und beruflichen Situationen.
  2. Ein „Notfallkit“ für die Sinne
    Anstatt Reizen hilflos ausgeliefert zu sein, kannst du dir ein eigenes „Notfallkit“ zusammenstellen. Dies kann einen beruhigenden Duft enthalten, der für dich entspannend wirkt (z. B. Lavendelöl), kleine Snacks, die deinen Geschmackssinn neutralisieren (wie Ingwer), oder ein kleines, kühles Tuch, das du bei Überhitzung durch Reize auf die Stirn legen kannst. Dieses Kit hilft dir, die Kontrolle zurückzugewinnen, wenn die Reize zu viel werden.
  3. Sensorische Inseln schaffen
    In einer reizüberfluteten Welt kannst du dir kleine Rückzugsorte schaffen – sogenannte „sensorische Inseln“. Das sind Orte oder Momente in deinem Tag, an denen du deine Sinne gezielt beruhigen kannst. Es könnte ein Raum in deinem Zuhause sein, der minimalistisch gestaltet ist, ohne starke Gerüche, Geräusche oder visuelle Reize. Dort kannst du dich aufladen, bevor du wieder in die laute Welt hinaustrittst.
  4. Geruchsbarrieren setzen
    Wenn Gerüche deine größte Herausforderung darstellen, kannst du gezielt Barrieren schaffen. Ein einfacher Schal, der leicht parfümiert ist, kann als Filter dienen, wenn du weißt, dass du dich in einer Umgebung aufhalten wirst, in der starke Gerüche lauern. Oder du trägst ein leichtes Pfefferminzöl unter deiner Nase auf – das neutralisiert aggressive Düfte und sorgt für einen kühlen Kopf.
  5. Biofeedback und Technologien nutzen
    Es gibt inzwischen innovative Apps und Geräte, die dir dabei helfen, sensorische Überlastungen frühzeitig zu erkennen und zu steuern. Biofeedback-Technologien überwachen deinen Stresslevel und geben dir Signale, wenn es Zeit ist, eine Pause einzulegen oder dich von einem Reiz zu entfernen. Dies kann dir helfen, proaktiv mit deinen sensorischen Herausforderungen umzugehen, anstatt von ihnen überrascht zu werden.

Eine besondere Gabe in einer lauten Welt

Superstimulierbarkeit ist keine Schwäche, sondern eine außergewöhnliche Fähigkeit. Menschen wie ich erleben die Welt auf einer tieferen Ebene – intensiver, ja, aber auch voller Nuancen, die anderen verborgen bleiben. Auch wenn diese Sensibilität uns oft zurückwerfen kann, so schenkt sie uns doch auch einen einzigartigen Zugang zur Welt. Es ist Zeit, diese Sensibilität als das zu erkennen, was sie ist: eine Stärke, die wir besser verstehen und steuern lernen können.

Ich hoffe, ich habe das Geschenk deiner Zeit verdient.

Herzlichst
Anne

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