Hochsensibilität & Reizstoffe: Wenn kleinste Mengen große Wirkung haben

Hochsensibilität & Reizstoffe
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Ein Espresso am Nachmittag und du liegst abends hellwach im Bett? Ein Glas Wein lässt dich am nächsten Tag wie gerädert fühlen? Zusatzstoffe in Fertigprodukten lösen bei dir eine diffuse Unruhe aus? Als hochsensibler Mensch bist du ein lebender Detektor für Substanzen, die andere kaum bemerken. Dein Nervensystem reagiert auf Koffein, Alkohol und chemische Zusätze wie ein präzises Messinstrument – manchmal zum Nachteil deines Wohlbefindens.

Dein Körper als biochemisches Frühwarnsystem

Stell dir vor, dein Körper wäre ein hochmodernes Labor mit extrem empfindlichen Messgeräten. Während andere Menschen wie robuste Allzweckgeräte funktionieren, die erst bei größeren Veränderungen anschlagen, arbeitest du wie ein Präzisionsinstrument, das schon kleinste Schwankungen registriert und darauf reagiert.

Diese besondere Sensibilität ist evolutionär durchaus sinnvoll. Hochsensible Menschen waren vermutlich die Frühwarnsysteme ihrer Gemeinschaften – sie erkannten Gefahren, bevor andere sie bemerkten. Doch in unserer modernen Welt voller chemischer Zusätze, Stimulanzien und Genussmittel wird diese Gabe manchmal zur Belastung.

Dein Nervensystem verarbeitet nicht nur äußere Reize intensiver, sondern auch die biochemischen Signale, die durch Nahrung und Getränke in deinen Körper gelangen. Was für andere eine harmlose Tasse Kaffee ist, kann bei dir eine Kaskade neurologischer Reaktionen auslösen. Das ist keine Schwäche – es ist die logische Konsequenz eines Systems, das auf Feinheiten programmiert ist.

Verstehe diese Reaktionen als wertvolle Information. Dein Körper kommuniziert mit dir über Substanzen, die dein System belasten könnten. Er schickt dir Warnsignale, bevor größere Probleme entstehen. Die Kunst liegt darin, diese Signale zu deuten und bewusst mit ihnen umzugehen.

Warum Hochsensible stärker auf Reizstoffe reagieren:

  • Feinere Rezeptoren für neurochemische Veränderungen
  • Intensivere Verarbeitung im zentralen Nervensystem
  • Niedrigere Toleranzschwellen für stimulierende Substanzen
  • Längere Nachhallzeit von biochemischen Effekten

Koffein: Der unterschätzte Nervensystem-Turbo

Du kennst das vielleicht: Andere Menschen trinken ihren dritten Espresso des Tages und sind entspannt, während du schon nach einem kleinen Schluck grünen Tee eine innere Unruhe spürst. Das liegt daran, dass Koffein in deinem hochsensiblen System völlig anders wirkt als bei weniger empfindlichen Menschen.

Koffein blockiert Adenosinrezeptoren in deinem Gehirn – jene Rezeptoren, die normalerweise für Müdigkeit und Entspannung sorgen. Bei dir sind diese Rezeptoren möglicherweise empfindlicher oder ihre Blockade wird intensiver verarbeitet. Das Resultat: Schon geringe Mengen Koffein können dich in einen Zustand permanenter Alarmbereitschaft versetzen.

Aber es geht noch weiter. Koffein erhöht die Ausschüttung von Stresshormonen wie Cortisol und Adrenalin. Dein hochsensibles Nervensystem, das ohnehin in einem erhöhten Aktivierungszustand arbeitet, wird durch diese zusätzlichen Hormone noch weiter stimuliert. Das kann zu einem Teufelskreis führen: Je mehr Koffein, desto unruhiger wirst du – und desto mehr sehnst du dich nach der vermeintlich beruhigenden Wirkung der nächsten Tasse.

Besonders tückisch: Die Halbwertszeit von Koffein beträgt etwa 5-6 Stunden. Das bedeutet, wenn du um 14 Uhr einen Kaffee trinkst, ist um 20 Uhr immer noch die Hälfte des Koffeins in deinem System aktiv. Bei deiner erhöhten Sensibilität kann das ausreichen, um deinen Schlaf zu stören – selbst wenn du dich subjektiv nicht mehr „aufgeputscht“ fühlst.

Typische Koffein-Reaktionen bei Hochsensiblen:

  • Herzrasen oder Herzklopfen schon bei kleinen Mengen
  • Innere Unruhe, die stundenlang anhält
  • Schlafstörungen trotz früher Koffein-Einnahme
  • Verstärkte Angstgefühle oder Nervosität
  • „Koffein-Crash“ mit Müdigkeit und Reizbarkeit

Alkohol: Zwischen Entspannung und Erschöpfung

Alkohol ist für viele Hochsensible ein zwiespältiges Thema. Einerseits kann er kurzfristig das überreizte Nervensystem beruhigen und soziale Situationen erträglicher machen. Andererseits reagiert dein empfindliches System oft besonders heftig auf die biochemischen Veränderungen, die Alkohol auslöst.

Der Grund liegt in der komplexen Wirkung von Alkohol auf dein Gehirn. Zunächst verstärkt er die Wirkung von GABA – einem beruhigenden Neurotransmitter. Das erklärt, warum du dich nach dem ersten Glas entspannter fühlst. Gleichzeitig dämpft Alkohol die Aktivität des Glutamat-Systems, das für Wachheit und Erregung zuständig ist.

Doch diese vermeintliche Entspannung hat ihren Preis. Wenn der Alkohol abgebaut wird, schwingt dein System oft ins andere Extrem. Die GABA-Wirkung lässt nach, während das Glutamat-System überreagiert. Bei deiner erhöhten neurologischen Sensibilität kann das zu intensiven Nachwirkungen führen: Schlafstörungen, Angstgefühlen, depressiven Verstimmungen oder extremer Müdigkeit.

Hinzu kommt: Alkohol belastet deine Leber, die bei der Entgiftung ohnehin oft überlastet ist. Als hochsensibler Mensch nimmst du mehr Umweltreize und Stressoren auf, die dein Entgiftungssystem fordern. Zusätzlicher Alkohol kann dieses System überlasten und zu einer Art „toxischen Müdigkeit“ führen, die weit über den normalen Kater hinausgeht.

Wie Alkohol hochsensible Systeme belastet:

  • Intensivere Entspannung, aber auch stärkere Nachwirkungen
  • Überreaktion des Nervensystems beim Alkoholabbau
  • Verstärkte Belastung der bereits geforderten Entgiftungsorgane
  • Störung der Schlafarchitektur mit schlechterer Regeneration

Zusatzstoffe: Der unsichtbare chemische Lärm

Hier wird es besonders subtil – und für viele Hochsensible besonders belastend. Zusatzstoffe in industriell verarbeiteten Lebensmitteln sind oft so niedrig dosiert, dass sie offiziell als „unbedenklich“ gelten. Doch dein feinabgestimmtes System registriert diese chemischen Veränderungen trotzdem.

Konservierungsstoffe wie Benzoate oder Sulfite, Geschmacksverstärker wie Glutamat, künstliche Farbstoffe und Süßstoffe – sie alle können in deinem Körper wie unterschwelliger „chemischer Lärm“ wirken. Dein Immunsystem und dein Nervensystem erkennen diese Fremdstoffe und reagieren darauf, auch wenn die Reaktion nicht immer eindeutig zuzuordnen ist.

Das Tückische: Die Symptome treten oft verzögert oder sehr subtil auf. Vielleicht fühlst du dich nach dem Verzehr von stark verarbeiteten Lebensmitteln einfach nur „nicht ganz richtig“ – müde, unkonzentriert oder irgendwie unwohl. Diese diffusen Signale sind oft schwer zu interpretieren, aber sie sind real und berechtigt.

Besonders problematisch sind Kombinationseffekte. Ein einzelner Zusatzstoff mag tolerierbar sein, aber die Mischung verschiedener Chemikalien kann dein System überlasten. Das erklärt, warum du dich nach einem Tag mit vielen verarbeiteten Lebensmitteln erschöpft und gereizt fühlst, ohne den genauen Auslöser benennen zu können.

Häufige Zusatzstoff-Reaktionen bei Hochsensiblen:

  • Diffuse Müdigkeit oder „Gehirnnebel“
  • Kopfschmerzen ohne erkennbare Ursache
  • Verstärkte Reizbarkeit oder emotionale Instabilität
  • Verdauungsbeschwerden oder Blähungen
  • Gefühl des allgemeinen Unwohlseins

Medikamente: Wenn weniger mehr ist

Ein oft übersehener Aspekt: Auch bei Medikamenten reagieren viele Hochsensible anders als der Durchschnitt. Standarddosierungen können bei dir überdimensioniert sein, während du gleichzeitig empfindlicher auf Nebenwirkungen reagierst.

Das liegt an individuellen Unterschieden in der Pharmakokinetik – also wie dein Körper Medikamente aufnimmt, verteilt, verstoffwechselt und wieder ausscheidet. Bei manchen Hochsensiblen arbeiten die Leberenzyme, die für den Medikamentenabbau zuständig sind, langsamer oder anders. Das kann dazu führen, dass Wirkstoffe länger im System bleiben und intensiver wirken.

Besonders bei Psychopharmaka ist Vorsicht geboten. Antidepressiva, Beruhigungsmittel oder Schlafmittel können bei dir ganz andere Effekte haben als bei weniger sensiblen Menschen. Was als „niedrige Einstiegsdosis“ gilt, kann für dich bereits zu viel sein.

Falls du Medikamente benötigst, arbeite eng mit einem verständnisvollen Arzt zusammen. Beginne mit sehr niedrigen Dosen und steigere langsam. Führe ein Symptomtagebuch, um Wirkungen und Nebenwirkungen genau zu dokumentieren. Deine Körperwahrnehmung ist dabei dein wichtigster Kompass.

Besonderheiten bei Medikamenten für Hochsensible:

  • Oft niedrigere Dosierungen erforderlich
  • Intensivere Wahrnehmung von Nebenwirkungen
  • Längere Eingewöhnungszeiten bei neuen Medikamenten
  • Notwendigkeit individueller Anpassung statt Standarddosierung

Praktische Strategien: Bewusster Umgang mit Reizstoffen

Der Schlüssel liegt nicht im kompletten Verzicht auf alle potentiell belastenden Substanzen – das wäre weder praktikabel noch nötig. Stattdessen geht es um bewusste Entscheidungen und achtsame Dosierung.

Beginne mit einer ehrlichen Bestandsaufnahme. Führe für ein bis zwei Wochen ein detailliertes Tagebuch über deinen Konsum von Koffein, Alkohol und verarbeiteten Lebensmitteln. Notiere parallel dazu dein Befinden: Schlafqualität, Energielevel, Stimmung, körperliche Symptome.

Experimentiere dann mit Reduktion statt Elimination. Vielleicht verträgst du morgens eine kleine Tasse grünen Tee, aber keinen Kaffee am Nachmittag. Oder du merkst, dass ein Glas Wein am Wochenende okay ist, aber unter der Woche problematisch wird.

Bei Zusatzstoffen ist der beste Schutz eine möglichst naturbelassene Ernährung. Das bedeutet nicht, dass du alles selbst kochen musst – aber achte auf Qualität und Zutatenlisten. Je kürzer die Liste, desto besser meist für dein sensibles System.

Entwickle Alternativen für schwierige Situationen. Wenn Koffein am Nachmittag dich wachhält, probiere andere Wege für den Energiekick: einen kurzen Spaziergang, Atemübungen oder proteinreiche Snacks.

Bewährte Strategien im Umgang mit Reizstoffen:

  • Detailliertes Konsum- und Befindlichkeitstagebuch führen
  • Schrittweise Reduktion statt radikaler Verzicht
  • Timing beachten: Was wann am besten vertragen wird
  • Qualität vor Quantität bei Lebens- und Genussmitteln
  • Alternative Strategien für Energie und Entspannung entwickeln

Kurz und knackig

Dein hochsensibles Nervensystem reagiert auf Koffein, Alkohol, Zusatzstoffe und Medikamente wie ein Präzisionsinstrument – intensiver und länger anhaltend als bei anderen Menschen. Das ist keine Schwäche, sondern Ausdruck deiner besonderen Neurobiologie. Durch bewusste Beobachtung, achtsame Dosierung und den Mut zu individuellen Lösungen kannst du diese Sensibilität zu deinem Vorteil nutzen. Höre auf die Signale deines Körpers – sie sind wertvolle Hinweise für ein Leben in Balance.

Wissenschaftliche Quellen:

  • Aron, E. N. (1996): „The Highly Sensitive Person: How to Thrive When the World Overwhelms You.“ Broadway Books
  • Fredholm, B. B., et al. (1999): „Actions of caffeine in the brain with special reference to factors that contribute to its widespread use.“ Pharmacological Reviews, 51(1), 83-133
  • Rogers, P. J., et al. (2010): „Association of the anxiogenic and alerting effects of caffeine with ADORA2A and ADORA1 polymorphisms and habitual level of caffeine consumption.“ Neuropsychopharmacology, 35(9), 1973-1983
  • Koob, G. F., & Volkow, N. D. (2016): „Neurobiology of addiction: A neurocircuitry analysis.“ The Lancet Psychiatry, 3(8), 760-773
  • Gilpin, N. W., & Koob, G. F. (2008): „Neurobiology of alcohol dependence: Focus on motivational mechanisms.“ Alcohol Research & Health, 31(3), 185-195
  • Schuckit, M. A. (2009): „Alcohol-use disorders.“ The Lancet, 373(9662), 492-501
  • Feingold, B. F. (1975): „Hyperkinesis and learning disabilities linked to artificial food flavors and colors.“ American Journal of Nursing, 75(5), 797-803
  • Bateman, B., et al. (2004): „The effects of a double blind, placebo controlled, artificial food colourings and benzoate preservative challenge on hyperactivity in a general population sample of preschool children.“ Archives of Disease in Childhood, 89(6), 506-511
  • Kaplan, B. J., et al. (2007): „Vitamins, minerals, and mood.“ Psychological Bulletin, 133(5), 747-760
  • Meyer, U. A. (2004): „Pharmacogenetics – five decades of therapeutic lessons from genetic diversity.“ Nature Reviews Genetics, 5(9), 669-676
  • Zhou, S. F., et al. (2009): „Polymorphism of human cytochrome P450 enzymes and its clinical impact.“ Drug Metabolism Reviews, 41(2), 89-295


Ich hoffe, ich habe das Geschenk deiner Zeit verdient.

Sonnige Grüße von
Anne

Finde hier die komplette Serie „Hochsensibilität und Ernährung“:

Kommentare

4 Antworten

  1. Hallo liebe Anne,
    vielen Dank für diesen aufschlussreichen Artikel! Ich fühlte mich gleich von mehreren Dingen angesprochen und z.T. auch bestätigt bei Themen, bei denen Andere mir so halbwegs einen Vogel gezeigt haben!
    Eine Bestätigung, die mir ein wenig Sicherheit gibt. (Auch, wenn ich es eigentlich besser weiß, lasse ich mich immer wieder verunsichern, ob ich nicht vielleicht doch übertreibe und mich anstelle…)

    1. Was das Koffein betrifft. Zwar scheine ich mich unterdessen doch nach und nach ziemlich daran gewöhnt zu haben, aber als Jugendliche / junge Frau habe ich sehr extrem reagiert. (Mit Herzrasen / Herzklopfen, Atembeschwerden – bis hin zu Kreislaufstörungen – Angstzuständen, frieren, Müdigkeit und Erschöpfung – aber trotzdem Schlaflosigkeit.)
    Ein Beispiel war, dass ich zu wenig getrunken habe und ausgerechnet ein Krankenpfleger mich morgens nötigte, eine Tasse Kaffee (nichts anderes!) zu trinken, damit ich genug Flüssigkeit bekam, bevor er mich aus dem Haus gehen ließ. Folge: Auf dem Weg zur Schule hatte ich Herzrasen, Atembeschwerden und Schmerzen im Brustkorb, und in der Bahn kippte ich um.
    Als ich das später ansprach, wurde mir unterstellt, ich würde mich „mädchenhaft anstellen“ und auf diese Art versuchen, mich davor zu drücken, mehr zu trinken, als ich will. (Ich war damals 16 Jahre alt, und es war noch ca. 20 Jahre, bevor Elaine Aron die Hochsensibilität entdeckte.)
    2. Alkohol:
    Interessant ist, dass Du schreibst, dass viele Hochsensible ein zwiespältiges Verhältnis zum Alkohol haben. Ich selbst bin (seit ca. 15 Jahren durchgehend ohne Rückfall trockene) Alkoholikerin, und ich hatte immer das Problem, dass ich mal dachte: „Als (trockene) Alkoholikerin kann ich nicht hochsensibel sein, Hochsensible lehnen Alkohol so sehr ab, dass sie niemals zum Alkoholiker werden könnten“, und mal hatte ich Angst, Hochsensiblen gegenüber zuzugeben, dass ich Alkoholikerin bin, weil mir das einfach so unpassend und unstimmig vorkam.
    Aber ja, es stimmt – andererseits habe ich schon ganz „speziell“ reagiert, z.B. indem ich die meisten „typischen Alkoholiker-Verhaltensweisen“ für mich selbst abgelehnt habe, weil sie mir so rücksichtslos vorkamen und mir ein schlechtes Gewissen gemacht haben. Und ich habe mich geschämt, wenn ich mich einmal entsprechend verhalten habe, sodass ich sie fortan möglichst gemieden habe. (Typische Bemerkung eines anderen Alkoholikers dazu: „Du bist kein Alki – du bist ein Lämmchen!“ Wobei er mit Lämmchen „harmlos“ gemeint hat.
    Ich habe sowohl körperlich, als auch psychisch extrem reagiert und bin verhältnismäßig „nachhaltig“ trocken geworden, ich fand immer, die negativen Folgen waren abschreckender, als dass die positiven Folgen reizvoll waren.
    Unterdessen reagiere ich allerdings eher psychisch extrem sensibel auf Alkohol: Eine Fassbrause, auf der groß „alkoholfrei“ stand, habe ich angeekelt weg geschüttet, weil sie „eklig nach Alkohol schmeckte“. Es stellte sich dann heraus, dass ein minimaler Alkoholgehalt (0,01 oder 0,02 %0) enthalten war.
    Unterdessen verstehe ich auch eine frühere Jugendfreundin besser: Damals (70er Jahre) war sie einmal im Krankenhaus, wo sie Diätessen bekam. Dazu gehörte ab und zu Weingelee als Nachtisch. Wenn meine Freundin das gegessen hatte, wirkte sie regelrecht beschwipst. Nicht nur, dass sei andauernd kicherte – ihr Blick wurde glasig, ihr Gesicht lief rot an. Nach ein paar Versuchen aß sie diesen Nachtisch nicht mehr, sondern gab ihn grundsätzlich weg.
    3. Medikamente:
    Meine Reaktionen auf Medikamente empfinde ich dafür als regelrecht paradox.
    Zum Einen scheint es vorzukommen, dass ich besonders sensibel reagiere. Es kam sogar schon vor, dass ich längere zeit keine Medikamente genommen hatte, Schlafstörungen hatte und kein herkömmliches chemisches Medikament nehmen wollte. Ich holte mir aus der Drogerie extra starke Baldrianperlen, von denen ich zwar einige mehr als angegeben nahm, aber dann merkte ich ganz deutlich eine beruhigende, schlaffördernde Wirkung. (Als ich das später meinem Mann erzählte, meinte der, es wäre „unmöglich“, dass ein Mensch davon eine Wirkung spüren kann, und wenn, dann wäre das ein Placebo-Effekt.)
    Auch, dass ich seltene (oder besonders starke) Nebenwirkungen spüre, kommt vor. Aber das ist seltsamerweise nicht immer so.
    Besonders intensive Nebenwirkungen fielen mir besonders in einem Frankreich-Urlaub auf, in dem ein französisches Grippemedikament ähnlich wie eine halluzinogene Droge auf mich wirkte und mich diese Wirkung regelrecht „umhaute“. Zu allem Überfluss hielt diese Wirkung auch noch ca. 12 Stunden an.
    Paradoxerweise gibt es aber auch Medikamente, bei denen die Wirkung erst nach wesentlich längerer Zeit als im Beipackzettel angegeben einsetzt und dafür länger anhält. Oder es kommt sogar vor, dass Medikamente überhaupt keine spürbare Wirkung zu haben scheinen
    Dass es länger dauert, bis die Wirkung einsetzt und sie dann länger anhält, könnte ich mir ja noch mit den langsamer arbeitenden Leberenzymen erklären, wie in Deinem Artikel beschrieben. Aber wie ist diese total unterschiedliche Reaktion auf unterschiedliche Medikamente zu erklären?

    Im Großen und Ganzen sehe ich eigentlich durch Deinen Artikel einiges klarer. Trotzdem eben auch nicht alles…

    Liebe Grüße
    Maren

    1. Hallo liebe Maren,
      danke dir für deinen ausführlichen und ehrlichen Kommentar. Deine Beispiele zeigen sehr eindrücklich, wie unterschiedlich und gleichzeitig intensiv HOCHiX Menschen auf Substanzen reagieren können. Genau das macht es oft so schwer, sich mit anderen darüber auszutauschen – denn wer diese Empfindsamkeit nicht kennt, hält sie schnell für „übertrieben“ oder „eingebildet“.
      Deine Erfahrungen mit Koffein, Alkohol und Medikamenten passen sehr gut zu dem, was ich seit vielen Jahren in der Begleitung von hochsensiblen und hochsensitiven Menschen beobachte. Es ist eben nicht „mädchenhaft anstellen“, sondern eine reale, körperlich spürbare Reaktion auf Stoffe, die das Nervensystem reizen oder überlasten. Dass dir damals niemand geglaubt hat, ist leider typisch für viele HOCHiX Biografien.
      Dass du einen eigenen, besonderen Weg durch die Alkoholthematik gefunden hast, spricht gerade für deine hohe Sensibilität und Differenziertheit. Hochsensible Menschen geraten durchaus in Süchte – nur erleben sie deren Schattenseiten oft besonders klar und intensiv, was bei manchen der entscheidende Antrieb sein kann, wirklich dauerhaft Abstand zu nehmen.
      Zu deiner Frage zu den Medikamenten: Diese paradoxe Unterschiedlichkeit ist typisch. Ein Teil davon lässt sich durch die erwähnten Enzyme erklären, aber ein anderer Teil hat schlicht mit deiner hochsensiblen, neurodivergenten Konstitution zu tun. Dein Organismus verarbeitet Eindrücke und Stoffe nicht linear, sondern mit einer eigenen Logik. Deswegen kann es passieren, dass ein mildes Naturpräparat deutlich wirkt, während ein starkes Medikament fast verpufft oder erst zeitverzögert greift. Das lässt sich nicht immer medizinisch exakt erklären – doch die Erfahrung zeigt, dass es real ist.
      Ich freue mich sehr, dass dir der Artikel mehr Klarheit gebracht hat. Dass noch Fragen offenbleiben, ist vollkommen normal – Hochsensibilität ist ein so komplexes Thema, dass es selten eindeutige, allgemeingültige Antworten gibt. Umso wichtiger ist es, dass du deiner eigenen Wahrnehmung vertraust. Sie ist dein bester Kompass.
      Liebe Grüße
      Anne

  2. Oh wow, zum ersten Mal lese ich das und finde mich da so drin wieder. Auf normalen Kaffee verzichte ich daher schon überwiegend, aber wenn ich doch mal eine Tasse trinke, merke ich es sofort. Alkohol ebenso. Und selbst grünen Tee merke ich direkt an innerer Unruhe. Dass das jetzt aber mit meiner Hochsensibilität zu tun haben kann, hatte ich einfach nicht auf dem Schirm. Danke! Für Zucker, insbesondere Schokolade (vermutlich wegen dem Kakao darin?) gilt das bei mir übrigens genauso, und darauf fällt es mir echt schwer zu verzichten!

    1. Hallo!
      Das klingt sehr vertraut – viele hochsensible Menschen berichten genau davon. Dass du die Wirkung so fein spüren kannst, zeigt, wie sensibel dein Nervensystem auf Stimulanzien reagiert. Kaffee, Tee, Alkohol oder auch Kakao sind eben nicht nur Genussmittel, sondern wirken direkt auf das zentrale Nervensystem.
      Gerade bei Schokolade ist es spannend, weil es nicht nur um Zucker geht, sondern auch um den Kakao selbst. Der enthält Stoffe wie Theobromin, die anregend wirken können – und das wird von hochsensiblen Menschen oft sofort bemerkt. Es geht also weniger darum, dir etwas zu „verbieten“, sondern vielmehr darum, ein Bewusstsein zu entwickeln, welche Wirkung diese Stoffe auf dich haben. So kannst du selbst entscheiden, wie viel davon dir wirklich guttut.
      Du siehst, es ist keine Schwäche, „weniger zu vertragen“, sondern eine besondere Feinfühligkeit, die dir ermöglicht, sehr genau zu unterscheiden. Und genau da liegt auch eine Stärke: du kannst deinen Körper viel präziser lesen als andere.
      Magst du mir verraten, ob du schon einmal ausprobiert hast, bestimmte Lebensmittel bewusst für eine Zeit ganz wegzulassen und zu beobachten, wie sich dein inneres Gleichgewicht verändert?
      Herzlichst, Anne

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